2008/08/28

gejagt

die luft schmeckte nach feuchter stille, ein untrügerisches zeichen, das der winter vor der tür stand. mit dem handrücken wischte er sich die spinneweben der letzten stunden aus dem gesicht. er war früh zu bett gegangen um hinauszutreten wenn der mond sich über die baumgrenze erhoben hatte. für etwas warmes war keine zeit geblieben, das anheizen des ofens hätte zuviel zeit gekostet. nun würden es auch ein paar von den äpfeln tun, sie mussten eh vom baum. die ersten beiden stunden hielt er nicht inne, hing seinen gedanken nach und setzte einen fuss vor den anderen. er wollte sich nicht überhitzen, nicht anfangen zu schwitzen. das konnte weiter oben zum problem werden. wenn er mit nassem hemd an den grat käme würde er sich schnell erkälten. so blieb er im schatten der berge und atmete ruhig aber tief ein. die müdigkeit wich schnell und der weg verlangte zusehends mehr aufmerksamkeit. es dauerte nicht lange bis er abbog und sich über eine hochebene in richtung eines breiten seitentals bewegte.
er war nicht oft hier gewesen, ein- vielleicht zweimal im vorletzten winter, als sich ein paar caribous hierherverirrt hatten. er hatte ihre spuren weiter unten in der nähe des flusses gesehen und war ihnen bis hierher gefolgt. er war damals zu hektisch gewesen. sie hatten ihn bemerkt, schon lange bevor er in dieses abgeschiedene tal vorgedrungen war. der hohe neuschnee machte es unmöglich weiterzukommen. und er wollte sie nicht dafür sorgen, dass sie über den kamm flüchten würden. beim zweiten mal nahm er sich mehr zeit. stand nachts auf, hatte nur ein leichtes bündel dabei und kam schnell voran. tage zuvor hatte er ein paar wärmere sachen in die verlassene hütte an der ebene zum tal gebracht. sogar eine kleine pause hatte er sich gegönnt damals. dem knirschen der schneebeladenen bäume gelauscht. es kam ein leichter wind von den bergen, er würde ihm von vorteil sein. eine stunde bevor die sonne für mehr licht als der mond sorgen würde erreichte er die schneebedeckten geröllfelder. es mussten einige lawinen abgegangen sein in der woche zuvor. er fand keine anzeichen der tiere. es war ansonsten ein ereignisloser winter damals.

diesmal wollte er weiter hinauf. bis zu ende des tals wo er noch nie zuvor gewesen war. im fahlen licht erschienen die kleinen geröllbrocken bizarr, wie hingekauerte hunde. er musste nach unten schauen um schatten von stein zu unterscheiden. bisweilen kam es vor, das sie sich beim näherkommen veränderten. aber er war auch einen leichten halbkreis meist mit dem mond im rücken gelaufen. die dünne luft verlangte seinen lungen etwas mehr arbeit ab. die jacke blieb jetzt besser geschlossen, es war betimmt nur knapp über null. am fluss, in der nähe seiner hütte, wo er manchmal abends sass, war es jetzt bestimmt angenehmer. nur die letzten moskitos würden das tun was sie immer tun, sie wussten ja nicht das der winter ihren tod bedeuten würde.
er muss schon fast eine halbe stunde gegangen sein, als die weissen knochen auftauchten. es waren nicht mehr alle da, einige weit verteilt aber gut erkennbar im weissen licht zwischen all den schatten. sie waren bereits angewittert, also nichts was erst kürzlich hier den tod fand, ein, zwei jahre vielleicht. er musste in bewegung bleiben, wollte er nicht zu sehr auskühlen. was war hier geschehen? der form nach zu urteilen passten die knochen der läufe zu nichts was hier oben lebt. und überhaupt war es äussert ruhig.
sein blick suchte die hänge ab. aber erblickten nur mehr schatten als auf der ebene. es war ja nicht mehr weit, dann würde er auf dem grat sein. den dichteren hang zu seiner rechten beobachtend bewegte er sich langsam vorwärts. ohne die augen am boden stolperte er immer wieder, verlorene zeit versuchte er durch schnellere bewegung auszugleichen. die jacke war offen. das blut pochte in den schläfen. ein schwarzer schatten bewegte sich über den hang in einem spitzen winkel neben ihm her. er versuchte ihn ignorieren, schob es auf das licht. und doch kam er näher. sein atem kondensierte in den barthaaren und der mund war trocken. das knirschen seiner schnellen schritte wurde von den felsen zurückgeworfen. er würde das tempo nicht lange durchhalten und der steilste teil lag noch vor ihm. die steine waren nun nicht mehr so gross, kleinerer schotter der immer wieder ins rutschen kam. auch war der mond hinter ihm verschwunden. es war die zeit des halblichts, ohne konturen. es war jetzt so steil, dass er die hände schon zweimal hatte zum aufstützen nehmen müssen. dabei war er einmal abgerutscht und hatte sich ein knie aufgeschlagen. er müsste sich jetzt konzentrieren und durfte keinen fehler machen. hatte den schatten nicht mehr im auge behalten können. dafür war jetzt keine zeit, er musste hinauf. vergessen waren die stunden des aufstiegs in denen er sich stark gefühlt und die satte luft getrunken hatte. er konnte jetzt keinen blick zurück riskieren, es würde ihn wertvolle sekunden kosten. sekunden die entscheiden konnten.
seine adern waren jetzt deutlich hervorgetreten, die finger krallten sich in die wand und suchten halt. wenn er den schwung behielte würde er es schaffen. die sehnen fingen an zu schmerzen und die kaputte hose klebte am blut welches am schienbein hinunterrann. in dem augenblick als er sich über die kante zog und zum letzten mal die beine in die wegrutschenden steine stemmte, nahm er ihn wieder war. etwa zwei meter neben ihm, kaum sichtbar aber mit markanter form. immer noch ausser atem suchte sein blick und fand eine eule.
sein blick klebte immer noch an ihr als sie sich auf der anderen seite zum tal hinabfallen liess. als er sie längst nicht mehr ausmachen konnte kehrte seine ruhe wieder. die kälte des bodens kroch durch den stoff und die luft war gläsern. seine augen hatten sich an das zwielicht gewöhnt und suchten nach dem horizont. die bergketten im osten waren fast genauso hoch, nur einige gipfel waren von hochnebel umhüllt. die weite vor ihm war von dunklem grün und wurde wach. so laut sein inneres gegen die ohren gedröhnt hatte, so ruhig und tief war jetzt sein atem. wie als wenn es eines beweises für das leben bedurft hätte wuchsen sich die einzelnen vogelstimmen vor ihm zu einem klangteppich aus. dieser fragile gesang verwusch sich und am horizont stachen zwei gleissende sonnenstrahlen durch den nebelteppich. ihre wärme war kaum zu spüren und nun trafen sie auf tränen. er weinte. es würde das letzte mal gewesen sein, dass er in dieses tal gekommen war. in das er die caribous vor zwei wintern getrieben hatte.


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