2010/08/23

Weiche Knie

Irgendwie warst du eh schon spät dran und das Wetter nicht gerade das stabilste, so dass es kaum nennenswert Momente zum Verschnaufen oder Beobachten gegeben hätte. Ein ziemlich normaler Feierabend, dieser Mittwochnachmittag. Durch die Speckgürtelnester, den Forst mit seinen schlammigen Waldwegpfützen, das nasse Gras zwischen den Bäumen und dann die unaufhörlich Autos und LKWs pumpende Ader stadteinwärts entlang. Dann gehts nur nochmal über die Spree und wenn du am Kraftwerk bist, ist das alles fast schon zuhause. Du kennst jede Fuge zwischen den Betonplatten, jedes Schlagloch, jede fiese Bordsteinkante und jede Ampel. Und wahrscheinlich gerade deshalb fällt dir eben doch immer etwas auf. Etwas, was anders ist, was nicht in diesen normalen Fluss des sich-nach-hause-Bewegens passt. Du musst zwar immer aufpassen an der Stelle, weil da diese Baustelle ist und nur eine Spur frei und die Autofahrer da gerne den Stärkeren raushängen lassen, aber trotzdem scannst du auch das "dahinter". Wie diese Strassenbahn, die da länger stand als normal. In die keiner einstieg. Aber Leute, die neben ihr knieten. Die Blechkisten rollten vorbei und waren so sensibel für ihr ringsrum wie sonst auch - nämlich gar nicht. Sie fuhren vorbei an diesem Körper der da lag, wie als wenn er angefahren worden wäre von der Bahn. Blutige Streifen. Menschen mit Handies am Ohr knien daneben. Und am anderen Ende der Bahn kniet auch jemand. Auf jemandem. Wie als wenn ringsrum alles leiser wird fängst du an zu ahnen, zu verwerfen zu grübeln. Du fährst jetzt langsamer. Zur Strassenmitte zu den Ampeln. Du weisst, dass vierhundert Meter vor der Haltestelle eine A-Klasse der Polizei auf dem Gehweg stand. Die würden jeden Augenblick hier sein, das hier ist schon vorbei, hier braucht es dich nicht, schon gar nicht als Gaffer. Und während du immer noch sortierst fährst du die letzten Kilometer wie mit Autopilot und weichen Knien. Das ferne Sirenengeheul nimmst du gar nicht mehr richtig wahr, du fragst dich irgendwie nur noch warum.

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