Man kann nicht Nichtlernen.
Wer Geborgenheit nie kennengelernt hat, für den ist Einsamkeit die vertrauteste Sicherheit die es gibt. Und wenn eine Geborgenheit dann wehtut, verletzt, ist in der Leere immer diese altvertraute Sicherheit. Sich darauf verlassen können, dass es diesen sicheren Ort im Zwischeneinander gibt, wo man nicht für seine Traumata verlacht wird. Wo man lernt, dass man die langsam loslassen kann und Gefühle den rational gelernten neuen Weg bestätigen.
Ich habe dieses Jahr die andere Seite kennengelernt. Vor drei Jahren war es ein schmerzhafter Weg, Arschlochanteile in mir zu erkennen, zu benennen und anzunehmen. Zu fühlen, zu spüren wo die herkamen. Es war gut und richtig und wichtig. Es war nötig. Ich konnte da erst ran als ich wollte. Und ich wollte. Weil es für mich keine andere Lösung gab. Ich will nicht so sein wie ich damals war. Das war ein Vorsatz, ein Versprechen. Nicht nur mir gegenüber.
Mit dem Mut und der Hoffnung, dieses Versprechen einzulösen bin ich offen auf einen Mensch zugegangen. Habe diese tiefsitzenden Verletzungen, diese Kränkungen gezeigt. Nicht um Mitleid zu bekommen. Oder gar um "betreut" zu werden. Es ist allein meine Verantwortung, damit umzugehen, andere Wege im miteinander zu finden. Dieses sich-verletzlich-zeigen üben, darin sicherer werden, Sicherheit finden. Wenn wir nicht wissen, wie wir irgendwohin kommen, schauen wir auf eine Karte, benutzen Navigationshilfen, Anhaltspunkte, Wegweiser. Ich wollte meine Prägungen, meinen kaputten Selbstwert zeigen damit der im miteinander nicht bestimmend wird, damit der zusammen navigiert werden kann. Mir fällt Regulation schwer. Es wird besser, aber es ist Arbeit. Es hilft ungemein, zu zeigen, woran man gerade zu knabbern hat, wo ich festhänge. Aber das ist nur die eine Hälfte. Es braucht auch ein Gegenüber, dass mit einem Wohlwollen darauf schaut, dieser Verletzlichkeit nicht mit Härte und Abwertung begegnet. Wenn eine Dynamik zwischen zwei Menschen sehr heftig, sehr intensiv zwischen Verletzen und Verletzsein schwankt, ist es fast unmöglich, alleine diese Herausforderung zu navigieren. Es braucht einen gemeinsamen Rahmen, ein Versprechen, diese Dynamiken als gemeinsame Hürde zu sehen. Und manchmal braucht es mehr als nur ein safeword um in die Coregulation zu kommen. Dass sowas eine Beziehung komplett ändern kann habe ich im letzten Jahr erfahren dürfen.
Vor knapp anderthalb Jahren ist ein immer wieder mal auftretendes schwieriges Miteinander mit einer Kollegin zu einem offenen Konflikt zwischen mir und ihr geworden. Ich war unzufrieden mit Arbeitsergebnissen, sie verängstigt von meiner direkten Art, das zu verbalisieren. Sehr cool von unseren Kollegen und Chefs - Mediation als Tool einzusetzen. Zwei herausfordernde Tage, das aufzudröseln. Tränen, Klöße in Hälsen, Aha-Momente und von Augen gefallene Schuppen. Ich habe meine Bringe- und Holschuld besser verstanden, das Nachfragen, Erläutern, Zuhören und Hineinversetzen seitdem sehr verändert. Wir sind insgesamt liebevoller im Umgang miteinander geworden. Selbst die Verklemmtheiten eines Chefs weichen langsam auf. Sie hat ihre vor zwanzig Jahren aufgegebene Baustelle wieder angefasst und eine richtig gute Unterstützung gefunden. Jede Woche freitags ist sie für zwei Stunden um die Ecke und arbeitet sich durch alte Themen. Uns geht es prima mittlerweile. Wir schnacken über unsere jeweiligen Therapieerlebnisse, -rückschritte und -ergebnisse.
Ich hab z.B. gelernt, wie jemand mit ADHS und leichten Autismusstörungen jeden Tag so kämpft und was da so hilft. Wie viel einfacher Situationen einfach werden wenn man einander versteht. Und warum sie so derbe gerne bastelt, näht und sich stundenlang mit sowas Beschäftigungsintensiven in einen sicheren Zustand bringt. Ihr erstes book-nook war noch als Bausatz gekauft, mittlerweile fertigt sie die Bibliotheken von Hand - hunderte Mini-Bücher von Hand geschnitten, beklebt, bemalt. Jedes Büro bekommt eins. Jetzt lachen wir über Fragen die wir haben und setzen uns hin, haben zusammen die Grundlagen von Stromkreisen durchgequatscht, Dioden, Litze und kapazitive Taster bestellt. Ich hab ihr Löttipps gegeben und bekomme prima Rat für meine ersten Versuche an meiner Overlock-Maschine. Früher hat sie sich immer kleiner gemacht als nötig - sie würde unsere ingenieurige Arbeit ja eh nicht verstehen und wäre nix wert - was uns hier alle auf die Palme gebracht hat und oft für Tränen bei ihr und Unverständnis bei uns gesorgt hat. Unterschwelliger Frust bei allen.
Es hat ein bisschen gedauert, zu leben, das hier alle gleich wichtig sind. Ich bin ziemlich dankbar, hier mit den richtigen Menschen umgeben zu sein. Und wir haben ein gemeinsames safeword vereinbart - für den Fall, dass wir gerade in ein Problem schlittern. Dann ist die Abmachung, dass wir uns auf die Mediation, auf den Ursprung unseres Themas beziehen und einen Ausweg finden können. Wir haben dieses Hilfsmittel noch nie benötigt.
Und gleichzeitig ist eine andere Beziehung zerbrochen. Wenn zwei Menschen mit traumatischen Erlebnissen aufeinander treffen, ist es eine Annäherung innerhalb des gleichen Spektrums - ich kenne, was Du erlebt hast, ich weiß um das was es mit Dir gemacht hat. Wenn diese beiden niedrigen Selbstwerte dann aufeinander treffen braucht es sehr bewusste, reflektierte Behutsamkeit im miteinander.
"Ich bin kein Jubelclub" - das fand ich schön. Weil es mir Sicherheit gab, nicht in den alten Modus zu verfallen, dieses von-oben-herab. Doch wohin mit meinem Selbstwert, der ja nach wie vor lädiert ist? Ich bin in die andere Richtung gekippt. Weil es sich so unbewusst vertraut angefühlt hat, dass mit mir wie mit einem Kleinkind umgegangen wird. Etwas tut mir weh - natürlich kann ich das aushalten. Und zack ist der andere kaputte Selbstwert auf einmal der, der mir von oben herab wehtut. Im Grunde sind wir beide immer hin- und hergependelt. Zwischen diesen von-oben-herab-Verletzen und im-unten-Verletztwerden. Machtspiele. Ich schäme mich sehr für meine von-oben-herab-Momente. Mein Abwerten, mein Verletzen. Ich wünschte mir fiele es leichter zu benennen - hey, ich bin gerade wütend auf Dich weil ich mich getriggert fühle. Ich überspringe diesen Schritt des Erkennens, des Fühlens und gebe meiner Reaktion, meiner Emotion an dieser Stelle den altbekannten raum. Mein antrainierter Schutzmechanismus ist dann schnell aktiv. Diese Dynamik aus, eine Person zieht sich zurück, die andere drängt nach ist schwer aufzulösen, wenn sich beide dieser Dynamik so gar nicht erst bewusst sind. Wenn man instantan den anderen Menschen als Gegner seines Zustandes verortet wird es unheimlich schwer. daraus auszubrechen.
Es ist nicht wirklich Trost, festzustellen, dass man das zu zweit nicht hinbekommen würde. Nicht ohne Unterstützung, einen sicheren Raum, in dem beide ungefährdet ihre verletzten Seiten zeigen können.
Irgendwie fühlt es sich so an, als ob ich die andere Seite meines Ichs gerade miterlebt habe. Damals wollte jemand, dass ich mir helfen lasse. Ich wollte nicht, habe dafür kein Verständnis gehabt, abgewehrt, was tief in mir war und keinesfalls wahr sein durfte. Jetzt weiß ich wie sich das für den anderen Menschen damals angefühlt haben muss. Diesmal habe ich versucht zu zeigen, dass Hilfe etwas gutes ist. Das es Dinge in uns gibt, die wir ohne Hilfe nicht erkennen, nicht ändern können. Was bleibt - man muss das wollen. Ohne eine solche Bereitschaft, solch ein committment, ohne diesen Mut geht das nicht. Und das erfüllt mich mit großer Traurigkeit.
Aber - man kann nicht Nichtlernen.
Ich musste mich erst wieder dahin regulieren, zu spüren wie sehr ich einem Menschen wehgetan habe. Mich sozusagen runterholen in die Demut, dort wo die Scham sitzt, anzuerkennen wo ich ein Arschloch war. Langsam dann dahin zugehen, warum das so zutage gekommen ist, welcher Mechanismus da in mir gewirkt hat, welche Anteile ich schützen wollte und welche Vermeidung ich damit gelebt habe. Ich sehne mich danach, mich geborgen zu fühlen, mich fallen lassen zu können, ich möchte weich sein, mich angenommen fühlen. Ich möchte nicht noch mehr Schmerz aushalten können, müssen. Das macht mich hart, das macht mich gemein, das macht mich verletzend. Ich möchte mir nicht wehtun lassen. Ich möchte meine traumatischen Erfahrungen, meine Defizite nicht gegen mich verwendet wissen, ich möchte mich sicher fühlen. Ich möchte gemeinsam wachsen, diese Dinge zeigen dürfen und ernstgenommen wissen. Ich möchte auf Augenhöhe wahrnehmen und auf Augenhöhe wahrgenommen werden.
Ins Fühlen kommen und spüren, was gerade bedrohlich ist, was gerade die alten Ausweichreaktionen reaktiviert. Dann ist es möglich, diese Muster auch einander zu zeigen, zu benennen. Das braucht eine Sicherheit, die man dann oft nicht mehr füreinander schaffen kann. Die getriggerten Anteile, die Traumata zu benennen, zu spüren und auszuhalten ist kraftraubend, aber hilfreich. Es hat ein bisschen gebraucht, bis ich das aushalten konnte. Ich habe keine Angst mehr davor. Es hat mir damals geholfen und ich habe auch heute keinen Schiss davor.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen