2023/09/20

roadkill

 Jedes Mal. Jedes verdammte Mal. 

Wenn ich die vor-Strava-und-überhaupt-für-Zahlen-interessieren-Zeit dazu nehme, komme ich mit ziemlicher Sicherheit auf über 200tkm die ich auf Rädern verbracht habe. Das ist ganz schön viel Lebenszeit und nicht die schlechteste. Eine der traurigsten Konstanten dabei über all die Jahre - tote Tiere. Ich habe so ziemlich alles gesehen und gerochen was auf Straßen von Autos überfahren wird. Hunde, Wildschweine, Rehe - überhaupt alles an Wild, Dachse, Füchse, Katzen, Igel, Schlangen, Echsen, Vögel aller Art, Maulwürfe, Eichhörnchen ... die Liste ließe sich noch ewig fortsetzen. Der Zustand reicht von frisch angefahren und noch in den letzten Zuckungen bis zu süßlich verwesendem Geruch der über hunderte Meter den Atem nimmt.

Es sind surreale Momente, einen toten Maulwurf zu sehen und anhalten zu wollen um ihn zu berühren, ob das Fell wirklich so kuschelig weich ist wie er da so liegt. Das Eichhörnchen mit der dünnen Blutspur vom Schädel über den grauen Asphalt, die Augen ins nichts starrend. Das kalte Reh neben der Spur, das Rückgrat verdreht und die Läufe gebrochen. Der Hundekadaver an dem schon Raben und Nager zugange waren und bald nur noch die Knochen und Fellreste verbleiben werden.

Irgendwie gehört es mittlerweile dazu, jeden Tag mindestens ein totes Wesen auf der Straße zu treffen. Ich habe mehr Igel und Blindschleichen zerquetscht auf dem Boden gesehen als in der Natur. Es sind europaweit knapp 200 Millionen Vögel und etwa 30 Millionen Säugetiere - pro Jahr. Und all das wegen dieser "Freiheit". Leave no trace für'n Arsch.

Ich habe zum Glück zweimal für ein Eichhörnchen gerade noch bremsen können, vor Ewigkeiten gab es fast einen Zusammenstoß mit einer Katze. Ich habe bestimmt den ein oder anderen Käfer, ein paar Raupen und sicherlich auch mal einen Frosch während der Laichzeit überfahren. Das ist nicht schön. Das Vorderrad ein bisschen zu verreißen wenn da ein Käfer im Blickfeld auftaucht ist so normal wie der Griff zur Trinkflasche.

Ich möchte mich an all die toten Tiere immer noch nicht gewöhnen.


2023/09/19

'cause I don't like myself

Zwei Begegnungen, zwei Menschen - und dann liegst du da nachts und heulst. Beide haben dahin gefragt wo in mir irgendwann etwas kaputt gegangen ist. Ob ich nicht dankbar gewesen sei nach dem Unfall vor dem TransAm damals. Und wie jemand als Kind die Tage auf einer Intensivstation erlebt hat, isoliert, schuldig gefühlt für die abzuschirmende Ansteckgefahr.

Beides führt zwei eigene Fäden aus unterschiedlichen Jahrzehnten zusammen. 

Ich war glaube 8 Jahre alt und sollte einmal an einem Wochenende meine Spielsachen und Schreibtisch aufräumen - was ich ungern tun wollte, wie Kinder halt so sind. Die Ansage war, dass ich vorher nicht zum Spielen raus dürfe. Ich habe da geschmollt. Über das Wochenende habe ich Bauchschmerzen bekommen. Das wurde von meinen Eltern abgetan, dass ich nur simulieren würde um nicht aufräumen zu müssen. Letztlich wurden die immer schlimmer. Die am Sonntagabend gerufene Ärztin hat den Krankenwagen gerufen und ich wurde ins Krankenhaus gebracht, ab in den OP - Blinddarm, nicht entzündet, sondern Durchbruch. Also vier Tage Intensiv, Schläuche im Bauch, das ganze Programm. 

Meine Mutter meinte zwar Jahre später dass sie sich da im nachinein Vorwürfe gemacht hätte - ich habe aber nie eine empathische Reaktion, kein in-den-Arm-nehmen oder Entschuldigung darüber erfahren und gespürt. Ich habe da aber ein ganzes Stück verinnerlicht, dass meine Schmerzen nicht relevant sind. Und das die niemanden berühren. Als ich den schweren Unfall hatte, habe ich nicht gesehen, wie sehr das die Menschen um mich mitgenommen hat. Ich habe das alles nie gelernt. Und das bringt mich gerade wieder zum heulen.

🎧

2023/08/10

Dunkeldeutschland

Nach ein paar Tagen in den Kalkalpen mit Wandern, Klettern, Spielen, Trinken und großartigem Muskelkater durch ungewohnte Höhenmeter glücklich ob der Begeisterung fürs Klettersteig genießen. Zum Ausgleich dann der Heimweg mit dem Rad. Fast etwas nachlässig in brouter.de geworfene Punkte, bisschen auf die Nebenstrecken gezupft. Melonenfelder nördlich der Donau, goldig glänzender Hafer, Weinberge mit Nutzhanf dazwischen. Ich mag die EU, ich mag Schengen. Die zugedreckten Scheiben der Zollabfertigungsgebäude an der tschechischen Grenze, vor Jahren zugesperrt, ein Platz im nichts.

 

Die Vorfreude endlich mal durch Tschechien zu fahren wurde nicht enttäuscht. Sonst ja nur fix wegen ein paar Bergen mal über über die Grenze geguckt, war es ein Eintauchen in diese slow-mo-Haftigkeit wie sie einen sofort in den vielen kleinen Dörfern überkommt. Irgendwo eine volle Wäscheleine, ein paar Katzen auf dem Asphalt, das lebendigste sind die vielen Vögel zwischen den Sträuchern. Irgendwo steht ein alter Skoda rum, auf dem Spielplatz die gelb-rot-blau angemalten Klettergerüste - wie damals. Die Welligkeit war eine endlose Abfolge von kleinen Anstiegen und Abfahrten, gerne auch zweistellig in den Steigungsprozenten. Ich glaube es gibt kaum ein friedlicheres Fleckchen. Und auch keine gestressten Autofahrer. Gefühlt hat jede*r die Haustür nicht abgeschlossen, keine Sekunde Bedenken, mich für ein paar Stunden Schlaf in eine Bushaltestelle mitten im Ort in den Schlafsack zu verziehen.

Das alles ist anders hinter der Grenze. Fast hätte ich damals meinen Zivildienst in Bad Schandau gemacht. Es wurde die Ostsee, und es war gut damals, so zu entscheiden. Und heute würde ich keine Sekunde zögern - nicht nach Sachsen, insbesondere nicht in diese Ecke zu gehen. Dunkeldeutschland, Sucksen, Mordor. Klar tut das jedem Menschen, der dort vor Ort etwas gegenhalten will, unrecht. Ich glaube aber, dass die 20?, 25? Prozent Arschlöcher dort einfach eh nicht schnallen, dass sie sich jetzt schon selbst ficken. Entlang der Strecke Pirna, Dresden, Meißen, Riesa bis hoch über Torgau lagen etliche Gewerbegebiete. Immer wieder irgendwelche Firmengelände und -gebäude. Und ich habe noch nie in einem so großen Gebiet permanent so viele Plakate mit Stellenangeboten und Werbung für Ausbildungsplätze gesehen. Ein ganzer Landstrich, der gefühlt völlig verzweifelt um jeden noch so popeligen Lageristen-Job ne quadratmetergroße Plakatierung fährt ist echt am Arsch. Was ist denn deren Plan, wie stellen die sich das vor? Rumpöbeln und sämtliche halbwegs klar denkenden Menschen mit großflächig stabil AFD-Nazis wählen vergraulen? Die werden von der Alterspyramide so derbe zerlegt werden, dass es einfach nur Kopfschütteln verursacht. Ohne Zuzug, ohne Migration wird es dunkel in Dunkeldeutschland. Auf die eine und die andere Art.

2023/06/12

📖

Ein schattiges Plätzchen, Vogelgezwitscher, ab und an brummt ein Insekt vorbei. Das Lesen im Sommer ist ein anderes als in den Monaten der frühen Dunkelheit und unmuggeligen Temperaturen. Der "SuB" wird zwar nicht kleiner weil immer mal wieder spontan was dazukommt, aber über die Zeit vom letzten Sommer bis jetzt sind einige zusammengekommen die bleiben dürfen. Und einige die demnächst mal wieder vertickt werden.

Laurent Petitmangin - Was es braucht in der Nacht


Ich kenne diese Zeitlupenunfallaufnahme, wie jemand radikaler wird aus der Beobachtung einer Familie in der das weggelächelt wurde, ein Stück weit mitgetragen und hinter konservativer Arschlöchrigkeit versteckt. So wie es in den Baseballschlägerjahren fast überall war. Um so beklemmend schöner zu lesen wie tief der struggle geht, dagegen ankämpfen zu wollen, ohnmächtig zu bleiben und doch nicht zu zerreißen. Traurig, tragisch, schön. Bleibt.

Jasmin Schreiber - Mariannengraben


Zwischen Leben und Sterben passt ne ganze Menge Abenteuer, im Kleinen wie Großen. Ein Buch das sehr nach letztem Sommer riecht. Mag's, bleibt

Lewis Howes - The Mask Of Masculinity


Über seinen Podcast drauf gekommen, eine schonungslose Bestandsaufnahme seiner eigenen jahrelang kultivierten red flags und sein Weg hin zu einem besseren Menschen. Ein Buch das mit jedem Kapitel einen neue weitere (wie viele denn noch?!) Tür öffnet hinter der man seinen eigenen Spiegel mal angucken darf. Bleibt.

Florence Given - Women Don't Owe You Pretty


Bämm - so quietschbunt und schrill Florence Given selbst ist, so deutlich sind die Zeilen dieses Buches. Verteilt Ohrfeigen wie Tastaturanschläge beim Schreiben. Bleibt.

John Ironmonger - Das Jahr des Dugong


Wenn ich gefragt werden würde, wer besonders "dicht" zu schreiben vermag, welches Buch fesselt, dass man drei, vier Stunden alles ringsrum vergisst - wäre dies hier ganz vorne dabei, genannt zu werden. Für mich auch ein Abschied, weil es das letzte Mal war mit einem bestimmten Menschen über Bücher zu reden, schreiben. Das Buch darf bleiben.

Lisa Taddeo - three women / drei frauen 


Puh, würde ich heute wahrscheinlich eher aus der Hand legen. Bin ich nicht so wirklich rangekommen, hat sich sehr angestrengt angefühlt. Zu laut, zu viele Fragezeichen, zu sehr auf Klischees runtergeschrieben. Darf gehen.

Dami Charf - Auch alte Wunden können heilen


Ich mag ihre Videos und die aufgeräumte Art an dunkle Erlebnisse ranzufühlen. Ein Buch, das eine tolle Hilfe zum selbst bearbeiten ist. Bleibt vielleicht nicht mehr lange, fühlt sich aber prima an, das in den Händen gehabt zu haben als es wichtig war.

Katja Lewina - Sie hat Bock


Für mich eine der Entdeckungen des letzten Jahres, hier liegen ja auch noch ein paar ungelesene Bücher von ihr. Darf unbedingt bleiben, und die nächste Lesung in der Nähe verpasse ich dann nicht, versprochen.

Desmund Shum - Red Roulette


Krasses Buch über ein noch krasseres System. Gibt Einblicke in Abläufe von denen wir nur wenig wissen und ahnen. Auch wenn mich vieles an Korruption und Struktur an meine eigenen Erlebnisse in Asien erinnert hat, ist das hier nochmal ne ganz andere Qualität. Die Unsicherheit welche Perspektive auf dieses Land ich eigentlich einnehme ist nicht kleiner geworden. Weil eher Sachbuch im zeitlichen Kontext wird es aber wohl wieder weggehen.

John Ironmonger - The Whale At The End Of The World


Wie der Dugong, unheimlich dicht erzählt und mindestens genauso eine Reise zwischen Traurigkeit und Hoffnung. Bisschen verliebt. Wird unbedingt bleiben.

Simone Buchholz - Unsterblich sind nur die anderen


Das Segelsexbuch. Was für eine tolle Geschichte. Prima Idee und großartige Bilder. Simone Buchholz ist für mich so'n bisschen "blind kaufbar" gelabelt. Bleibt

Gabrielle Filteau-Chiba - Bis der Fluss taut



Ja, ist ein bisschen kitschy. So what. Es ist kurzweilig, hat ein paar - wenn auch vorhersehbare - Überraschungen und macht tatsächlich Lust auf draußen. Ob die Rollen da jetzt so okay sind oder nicht kann man ja immer noch mal hinterfragen. Bleibt erstmal.

Hervé Le Tellier - Die Anomalie


Ja, bitte mehr sowas lesen! Was, wenn wir alle... Bisschen Matrix, bisschen Krimi. Tolles Buch, bleibt.

AGFW - Technisches Handbuch Fernwärme


Gibt's nicht mehr und wird wohl auch nicht mehr aufgelegt. Steht grundsätzlich nicht viel unbekanntes drin, aber für so'n paar Begrifflichkeiten ganz gut und besonders da, wo man als Verfahrenstechniker mit Fernwärmemenschen die gleiche Sprache finden möchte.

Oana Aristide - Under The Blue


Schade. Ich hatte mir mehr erhofft und bin so gar nicht mit warmgeworden, vllt nach nem Viertel weggelegt und deshalb geht's zu momox.

Amor Towles - Lincoln Highway


Menno, eigentlich hätte da ein spannender Roadtrip, Abenteuer, bisschen Anleihen an Mark Twain oder Jack London zu finden sein können. Langatmig und sich in etlichen Nebensächlichkeiten verlierend. Nicht zu Ende gelesen weil ermüdend. Geht auch weg.

Şeyda Kurt - Radikale Zärtlichkeit


Puh, nicht unbedingt Unterhaltung. Aber zum in sich rein philosophieren und für neue Perspektiven ein prima Buch. Bleibt wahrscheinlich noch ein bisschen.

John Ironmonger - Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen


Ja, okay. Es könnte vielleicht passieren, dass es irgendwann langweilig wird, das große gleiche Thema weiterzuschreiben. Aber wenn es doch so gut gemacht ist wie hier... Es darf bleiben.

Sven Pfizenmaier - Draußen feiern die Leute


Gerade am Wickel und jetzt schon so viel Spaß gehabt, dass ich es bestimmt behalten werde.