2023/09/26

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Ich mag Pusteblumen. Und den Kram von The Ambientalist irgendwie auch ganz schön dolle.

2023/09/20

roadkill

 Jedes Mal. Jedes verdammte Mal. 

Wenn ich die vor-Strava-und-überhaupt-für-Zahlen-interessieren-Zeit dazu nehme, komme ich mit ziemlicher Sicherheit auf über 200tkm die ich auf Rädern verbracht habe. Das ist ganz schön viel Lebenszeit und nicht die schlechteste. Eine der traurigsten Konstanten dabei über all die Jahre - tote Tiere. Ich habe so ziemlich alles gesehen und gerochen was auf Straßen von Autos überfahren wird. Hunde, Wildschweine, Rehe - überhaupt alles an Wild, Dachse, Füchse, Katzen, Igel, Schlangen, Echsen, Vögel aller Art, Maulwürfe, Eichhörnchen ... die Liste ließe sich noch ewig fortsetzen. Der Zustand reicht von frisch angefahren und noch in den letzten Zuckungen bis zu süßlich verwesendem Geruch der über hunderte Meter den Atem nimmt.

Es sind surreale Momente, einen toten Maulwurf zu sehen und anhalten zu wollen um ihn zu berühren, ob das Fell wirklich so kuschelig weich ist wie er da so liegt. Das Eichhörnchen mit der dünnen Blutspur vom Schädel über den grauen Asphalt, die Augen ins nichts starrend. Das kalte Reh neben der Spur, das Rückgrat verdreht und die Läufe gebrochen. Der Hundekadaver an dem schon Raben und Nager zugange waren und bald nur noch die Knochen und Fellreste verbleiben werden.

Irgendwie gehört es mittlerweile dazu, jeden Tag mindestens ein totes Wesen auf der Straße zu treffen. Ich habe mehr Igel und Blindschleichen zerquetscht auf dem Boden gesehen als in der Natur. Es sind europaweit knapp 200 Millionen Vögel und etwa 30 Millionen Säugetiere - pro Jahr. Und all das wegen dieser "Freiheit". Leave no trace für'n Arsch.

Ich habe zum Glück zweimal für ein Eichhörnchen gerade noch bremsen können, vor Ewigkeiten gab es fast einen Zusammenstoß mit einer Katze. Ich habe bestimmt den ein oder anderen Käfer, ein paar Raupen und sicherlich auch mal einen Frosch während der Laichzeit überfahren. Das ist nicht schön. Das Vorderrad ein bisschen zu verreißen wenn da ein Käfer im Blickfeld auftaucht ist so normal wie der Griff zur Trinkflasche.

Ich möchte mich an all die toten Tiere immer noch nicht gewöhnen.


2023/09/19

'cause I don't like myself

Zwei Begegnungen, zwei Menschen - und dann liegst du da nachts und heulst. Beide haben dahin gefragt wo in mir irgendwann etwas kaputt gegangen ist. Ob ich nicht dankbar gewesen sei nach dem Unfall vor dem TransAm damals. Und wie jemand als Kind die Tage auf einer Intensivstation erlebt hat, isoliert, schuldig gefühlt für die abzuschirmende Ansteckgefahr.

Beides führt zwei eigene Fäden aus unterschiedlichen Jahrzehnten zusammen. 

Ich war glaube 8 Jahre alt und sollte einmal an einem Wochenende meine Spielsachen und Schreibtisch aufräumen - was ich ungern tun wollte, wie Kinder halt so sind. Die Ansage war, dass ich vorher nicht zum Spielen raus dürfe. Ich habe da geschmollt. Über das Wochenende habe ich Bauchschmerzen bekommen. Das wurde von meinen Eltern abgetan, dass ich nur simulieren würde um nicht aufräumen zu müssen. Letztlich wurden die immer schlimmer. Die am Sonntagabend gerufene Ärztin hat den Krankenwagen gerufen und ich wurde ins Krankenhaus gebracht, ab in den OP - Blinddarm, nicht entzündet, sondern Durchbruch. Also vier Tage Intensiv, Schläuche im Bauch, das ganze Programm. 

Meine Mutter meinte zwar Jahre später dass sie sich da im nachinein Vorwürfe gemacht hätte - ich habe aber nie eine empathische Reaktion, kein in-den-Arm-nehmen oder Entschuldigung darüber erfahren und gespürt. Ich habe da aber ein ganzes Stück verinnerlicht, dass meine Schmerzen nicht relevant sind. Und das die niemanden berühren. Als ich den schweren Unfall hatte, habe ich nicht gesehen, wie sehr das die Menschen um mich mitgenommen hat. Ich habe das alles nie gelernt. Und das bringt mich gerade wieder zum heulen.

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2023/08/10

Dunkeldeutschland

Nach ein paar Tagen in den Kalkalpen mit Wandern, Klettern, Spielen, Trinken und großartigem Muskelkater durch ungewohnte Höhenmeter glücklich ob der Begeisterung fürs Klettersteig genießen. Zum Ausgleich dann der Heimweg mit dem Rad. Fast etwas nachlässig in brouter.de geworfene Punkte, bisschen auf die Nebenstrecken gezupft. Melonenfelder nördlich der Donau, goldig glänzender Hafer, Weinberge mit Nutzhanf dazwischen. Ich mag die EU, ich mag Schengen. Die zugedreckten Scheiben der Zollabfertigungsgebäude an der tschechischen Grenze, vor Jahren zugesperrt, ein Platz im nichts.

 

Die Vorfreude endlich mal durch Tschechien zu fahren wurde nicht enttäuscht. Sonst ja nur fix wegen ein paar Bergen mal über über die Grenze geguckt, war es ein Eintauchen in diese slow-mo-Haftigkeit wie sie einen sofort in den vielen kleinen Dörfern überkommt. Irgendwo eine volle Wäscheleine, ein paar Katzen auf dem Asphalt, das lebendigste sind die vielen Vögel zwischen den Sträuchern. Irgendwo steht ein alter Skoda rum, auf dem Spielplatz die gelb-rot-blau angemalten Klettergerüste - wie damals. Die Welligkeit war eine endlose Abfolge von kleinen Anstiegen und Abfahrten, gerne auch zweistellig in den Steigungsprozenten. Ich glaube es gibt kaum ein friedlicheres Fleckchen. Und auch keine gestressten Autofahrer. Gefühlt hat jede*r die Haustür nicht abgeschlossen, keine Sekunde Bedenken, mich für ein paar Stunden Schlaf in eine Bushaltestelle mitten im Ort in den Schlafsack zu verziehen.

Das alles ist anders hinter der Grenze. Fast hätte ich damals meinen Zivildienst in Bad Schandau gemacht. Es wurde die Ostsee, und es war gut damals, so zu entscheiden. Und heute würde ich keine Sekunde zögern - nicht nach Sachsen, insbesondere nicht in diese Ecke zu gehen. Dunkeldeutschland, Sucksen, Mordor. Klar tut das jedem Menschen, der dort vor Ort etwas gegenhalten will, unrecht. Ich glaube aber, dass die 20?, 25? Prozent Arschlöcher dort einfach eh nicht schnallen, dass sie sich jetzt schon selbst ficken. Entlang der Strecke Pirna, Dresden, Meißen, Riesa bis hoch über Torgau lagen etliche Gewerbegebiete. Immer wieder irgendwelche Firmengelände und -gebäude. Und ich habe noch nie in einem so großen Gebiet permanent so viele Plakate mit Stellenangeboten und Werbung für Ausbildungsplätze gesehen. Ein ganzer Landstrich, der gefühlt völlig verzweifelt um jeden noch so popeligen Lageristen-Job ne quadratmetergroße Plakatierung fährt ist echt am Arsch. Was ist denn deren Plan, wie stellen die sich das vor? Rumpöbeln und sämtliche halbwegs klar denkenden Menschen mit großflächig stabil AFD-Nazis wählen vergraulen? Die werden von der Alterspyramide so derbe zerlegt werden, dass es einfach nur Kopfschütteln verursacht. Ohne Zuzug, ohne Migration wird es dunkel in Dunkeldeutschland. Auf die eine und die andere Art.

2023/06/12

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Ein schattiges Plätzchen, Vogelgezwitscher, ab und an brummt ein Insekt vorbei. Das Lesen im Sommer ist ein anderes als in den Monaten der frühen Dunkelheit und unmuggeligen Temperaturen. Der "SuB" wird zwar nicht kleiner weil immer mal wieder spontan was dazukommt, aber über die Zeit vom letzten Sommer bis jetzt sind einige zusammengekommen die bleiben dürfen. Und einige die demnächst mal wieder vertickt werden.

Laurent Petitmangin - Was es braucht in der Nacht


Ich kenne diese Zeitlupenunfallaufnahme, wie jemand radikaler wird aus der Beobachtung einer Familie in der das weggelächelt wurde, ein Stück weit mitgetragen und hinter konservativer Arschlöchrigkeit versteckt. So wie es in den Baseballschlägerjahren fast überall war. Um so beklemmend schöner zu lesen wie tief der struggle geht, dagegen ankämpfen zu wollen, ohnmächtig zu bleiben und doch nicht zu zerreißen. Traurig, tragisch, schön. Bleibt.

Jasmin Schreiber - Mariannengraben


Zwischen Leben und Sterben passt ne ganze Menge Abenteuer, im Kleinen wie Großen. Ein Buch das sehr nach letztem Sommer riecht. Mag's, bleibt

Lewis Howes - The Mask Of Masculinity


Über seinen Podcast drauf gekommen, eine schonungslose Bestandsaufnahme seiner eigenen jahrelang kultivierten red flags und sein Weg hin zu einem besseren Menschen. Ein Buch das mit jedem Kapitel einen neue weitere (wie viele denn noch?!) Tür öffnet hinter der man seinen eigenen Spiegel mal angucken darf. Bleibt.

Florence Given - Women Don't Owe You Pretty


Bämm - so quietschbunt und schrill Florence Given selbst ist, so deutlich sind die Zeilen dieses Buches. Verteilt Ohrfeigen wie Tastaturanschläge beim Schreiben. Bleibt.

John Ironmonger - Das Jahr des Dugong


Wenn ich gefragt werden würde, wer besonders "dicht" zu schreiben vermag, welches Buch fesselt, dass man drei, vier Stunden alles ringsrum vergisst - wäre dies hier ganz vorne dabei, genannt zu werden. Für mich auch ein Abschied, weil es das letzte Mal war mit einem bestimmten Menschen über Bücher zu reden, schreiben. Das Buch darf bleiben.

Lisa Taddeo - three women / drei frauen 


Puh, würde ich heute wahrscheinlich eher aus der Hand legen. Bin ich nicht so wirklich rangekommen, hat sich sehr angestrengt angefühlt. Zu laut, zu viele Fragezeichen, zu sehr auf Klischees runtergeschrieben. Darf gehen.

Dami Charf - Auch alte Wunden können heilen


Ich mag ihre Videos und die aufgeräumte Art an dunkle Erlebnisse ranzufühlen. Ein Buch, das eine tolle Hilfe zum selbst bearbeiten ist. Bleibt vielleicht nicht mehr lange, fühlt sich aber prima an, das in den Händen gehabt zu haben als es wichtig war.

Katja Lewina - Sie hat Bock


Für mich eine der Entdeckungen des letzten Jahres, hier liegen ja auch noch ein paar ungelesene Bücher von ihr. Darf unbedingt bleiben, und die nächste Lesung in der Nähe verpasse ich dann nicht, versprochen.

Desmund Shum - Red Roulette


Krasses Buch über ein noch krasseres System. Gibt Einblicke in Abläufe von denen wir nur wenig wissen und ahnen. Auch wenn mich vieles an Korruption und Struktur an meine eigenen Erlebnisse in Asien erinnert hat, ist das hier nochmal ne ganz andere Qualität. Die Unsicherheit welche Perspektive auf dieses Land ich eigentlich einnehme ist nicht kleiner geworden. Weil eher Sachbuch im zeitlichen Kontext wird es aber wohl wieder weggehen.

John Ironmonger - The Whale At The End Of The World


Wie der Dugong, unheimlich dicht erzählt und mindestens genauso eine Reise zwischen Traurigkeit und Hoffnung. Bisschen verliebt. Wird unbedingt bleiben.

Simone Buchholz - Unsterblich sind nur die anderen


Das Segelsexbuch. Was für eine tolle Geschichte. Prima Idee und großartige Bilder. Simone Buchholz ist für mich so'n bisschen "blind kaufbar" gelabelt. Bleibt

Gabrielle Filteau-Chiba - Bis der Fluss taut



Ja, ist ein bisschen kitschy. So what. Es ist kurzweilig, hat ein paar - wenn auch vorhersehbare - Überraschungen und macht tatsächlich Lust auf draußen. Ob die Rollen da jetzt so okay sind oder nicht kann man ja immer noch mal hinterfragen. Bleibt erstmal.

Hervé Le Tellier - Die Anomalie


Ja, bitte mehr sowas lesen! Was, wenn wir alle... Bisschen Matrix, bisschen Krimi. Tolles Buch, bleibt.

AGFW - Technisches Handbuch Fernwärme


Gibt's nicht mehr und wird wohl auch nicht mehr aufgelegt. Steht grundsätzlich nicht viel unbekanntes drin, aber für so'n paar Begrifflichkeiten ganz gut und besonders da, wo man als Verfahrenstechniker mit Fernwärmemenschen die gleiche Sprache finden möchte.

Oana Aristide - Under The Blue


Schade. Ich hatte mir mehr erhofft und bin so gar nicht mit warmgeworden, vllt nach nem Viertel weggelegt und deshalb geht's zu momox.

Amor Towles - Lincoln Highway


Menno, eigentlich hätte da ein spannender Roadtrip, Abenteuer, bisschen Anleihen an Mark Twain oder Jack London zu finden sein können. Langatmig und sich in etlichen Nebensächlichkeiten verlierend. Nicht zu Ende gelesen weil ermüdend. Geht auch weg.

Şeyda Kurt - Radikale Zärtlichkeit


Puh, nicht unbedingt Unterhaltung. Aber zum in sich rein philosophieren und für neue Perspektiven ein prima Buch. Bleibt wahrscheinlich noch ein bisschen.

John Ironmonger - Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen


Ja, okay. Es könnte vielleicht passieren, dass es irgendwann langweilig wird, das große gleiche Thema weiterzuschreiben. Aber wenn es doch so gut gemacht ist wie hier... Es darf bleiben.

Sven Pfizenmaier - Draußen feiern die Leute


Gerade am Wickel und jetzt schon so viel Spaß gehabt, dass ich es bestimmt behalten werde.

2023/05/16

Re: Muttertag

Einer der wichtigsten Sätze meines Therapeuten: Kinder schulden ihren Eltern nichts. Es vergeht ja kaum ein Tag und keine Woche wo mich das nicht beschäftigt. Das, was damals das "normal" war. Der erste wichtige Schritt war vor Jahren, den Kontakt abzubrechen. Zurückblickend irgendwie intuitiv und um mich vor weiteren Verletzungen zu schützen. Es hat die Menschen, die mir nahe waren nie wirklich auf der Gefühlsebene interessiert, was diese Zeit als Kind mit mir gemacht hat. Ein gutes Stück weit auch, weil ich gelernt hatte, das zu verstecken. Zum Teil, weil diese Menschen selbst kaum einen stabilen Selbstwert mitbrachten und/oder verlustängstlich geprägt aufgewachsen waren.

Eine dritte und nicht weniger leicht auszuhaltende Ebene ist aber "die Gesellschaft". Menschen, die im weiteren Bekannten- oder Familienkreis verortet waren bis hin zu völlig außerhalb stehenden Personen. Es erzeugt einen wahnsinnigen Druck ein hingesagtes "... aber es ist Deine Mutter/Familie/etc. ..." auszuhalten. Ganz besonders wenn passiv-aggressiv agierende Menschen das in einer subtilen abwertenden Verurteilung verpacken. Ich finde es tragisch, dass diese Menschen selbst nicht anders können als so zu sein. Für das meiste, was mir weitergegeben wurde, gibt es sicherlich Gründe in der Kindheit meiner Eltern. Interessiert hätte es mich ja schon irgendwie - allein es führt kein Weg hin, davon zu erfahren. Weil die Scham über die mütterlichen Schuldgefühle einfach zu mächtig sind.

Bleibt am Ende nur, zu mir selbst so gut und liebevoll zu sein wie es meine Eltern, meine Mutter, es nie sein konnten. Auch wenn das immer wieder alte Wunden aufreißt, weh tut und anstrengt.

Aberglaube

Aberglaube? Vielleicht. Der alte Schlitten ist nun wirklich durch, die speckige Kordel seit der ersten Tasche muss bleiben. Zu oft draufgekrümelt und dran rumgezogen. Wir verstehen uns einfach zu gut.





2023/05/14

2023/05/05

Aber die Freiheit!

Drei Schlafsacknächte mit Sonnenbrandtagen, Jungfüchsen, einem chillenden Dachs und drölfzigtausend lärmenden Vögeln in den Stunden vor den Sonnenaufgängen. Hamburg hat Hügel - wenn man ein bisschen (weiter) rausfährt. Ein 880km-Bogen an der Elbe lang, durch Sachsen-Anhalt (wo man fleissig Autobahnen neubaut) und dann in den Ostharz rein. Gefühlt hatte jede Feurwehr den Grill angeworfen, ein paar Walpurgis-Spielmannszüge und Hexenkostüme auf den Straßen. Schon beim letzten Mal durch den Harz - zwar größtenteils nachts und von Westen aus rein rüber zum Brocken - war das so als schale Erkenntnis zurückgeblieben - es war einmal. Keine grünen Tunnel aus Bäumen links und rechts, keine Schattenspender, kein Windschutz. Gerodete Mondlandschaften. Grau-braune Unwirklichkeit. Vor Jahren war ich mal im Winter da, als es Schnee gab. Zwar standen da die Wälder noch, aber im Schnee würde man die kaputte Realität ignorieren können. Jetzt - wo es eigentlich die knalligste Zeit der austreibenden Grüntöne wäre - lässt es sich nicht übersehen. Eigentlich gibt es keinen Grund mehr in den Harz zu wollen. Klar, wenn Ausflugslokale, die Harzbahn oder die 8km-Wanderrunde durch das Totholz locken vielleicht doch noch. Erholung "in der Natur" - LOL. Keine Ahnung, ob die Leute deswegen mittlerweile merklich wegbleiben, aber die, die trotzdem kommen, tun es konsequent - drei von vier Autos sind SUVs.


Das eine Minute später an dieser Stelle ein paar Hundert Zweitaktmotoren, hauptsächlich Ost-Mopeds und ein paar Trabbis die Luft für die nächsten hundert Atemzüge versaut haben - geschenkt. Als Bild für die Kapelle auf der Titanic ganz gut geeignet. Wir hier verbrauchen - seit Jahren unverändert - Ressourcen für drei Welten. Aber die Freiheit!

2023/04/25

🎞️

Lieblingswohnzimmer und der für mich vielleicht beste Film des Jahres - Sisu. Wegen der Fantasy Film Nächte jede Menge Bilderbuch-Nerds im vollen Saal. Noch dazu die zweite Karte spontan an den Lieblings-Ex-Kollegen weitergegeben - der dann auch noch Zeit und auch richtig Spaß an dem Film hatte.

Nein, der John-Wick-Verweis ist irgendwie nicht passend, auch wenn der überall rausgeholt wird. Das lonesome-cowboy-revenge-artige ist an sich kein neues Thema weil etliche Male schon ähnlich erzählt. Aber noch nicht in dieser unheimlich schönen Ecke der Welt und in dieser achso typisch finnischen, mir sehr sympathischen Knarzigkeit. Insgesamt hat mich das eher an Eastwood-Western, The Hateful Eight und natürlich ein bisschen Inglourious Basterds erinnert.

Der Streifen soll Mitte Mai auch über die großen Kinos laufen, vielleicht geb ich mir den noch einmal. Auch weil mich die am Pulmankijärvi gedrehten Szenen einfach auf besondere Weise berühren. 

2023/03/25

we're fucked

IPCC-Bericht. Und nun? Amtlicher geht's irgendwie nicht. Wir Menschen sind der dämlichste Parasit auf Erden. Als Gesamtheit ist es uns egal wie es weitergeht. Als Spezies sind wir untauglich zu überleben.

Es ist spielt keine Rolle, ob ich als einzelnes Individuum das anders sehe und es gern anders hätte. Mir geht das persönlich ziemlich gegen den Strich. Ich habe mich Ende der 90er dafür entschieden, dieses Bedürfnis, etwas für eine bessere Erde zu tun, zum Beruf werden zu lassen. Die Mischung aus diesem mir wichtigen Wert und dem Spaß an ingenieuriger Arbeit. Was damals vielleicht nur schwarzer Humor oder ein Spiel mit laut gedachtem Fatalismus war, ist mittlerweile ein nüchternes Bild der Realität geworden. Und das nimmt ganz schön viel Motivation weg.

Ich möchte das, was da in den nächsten 30...40 Jahren kommt, eigentlich nicht ertragen müssen. Und irgendwie hatte ich gehofft, dass es mehr Menschen so gehen würde. Und eigentlich wollte ich nicht an den Punkt kommen, darüber nachdenken zu müssen, was es zu erlernen gilt, um in einer +2K-Welt zu "Leben". Weil - bis wohin ist es noch "Leben", ab wann ist es nur noch ein "Aushalten", ein "Überleben"?

2023/03/19

Hobby?

Hobby. So richtig passend ist das Wort irgendwie selten. Was ist das eigentlich, wie viele und wie intensiv? Ich kann irgendwie nie wirklich darauf antworten wenn mich jemand nach meinem Hobby fragt. Hobbies? Da ist irgendwie so unheimlich viel was mir Spaß macht, womit ich Zeit verbringen mag.

Ist das zuviel? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass sich über meine drölfzigtausend "Projekte" lustig gemacht worden ist. Ich hab da auch drüber gelacht, aber wenn ich ehrlich bin hat mir das schon ein Stück wehgetan. Ich bin halt neugierig und ich mag Zeug ausprobieren. Dann versuch ich das, so gut wie mir möglich ist, zu verstehen, vorzubereiten und mich dann damit zu beschäftigen. Und es gibt nix schöneres, dabei dann Spaß zu finden.

Die meisten Sachen haben so etwas meditatives, ich schalte dabei ein bisschen ab und vergesse alles ringsum. Ich war neulich Freunde besuchen und während wir beisammen saßen haben wir mit Acrylstiften Dinge bemalt. Das war unheimlich schön und ich hatte ganz vergessen wie sehr gern ich früher gemalt habe. Ich habe ein paar Jahre lang öfter Materialbilder und - collagen auf vieleckigen Formen gemacht, meist irgendwie noch was mit Nachleucht- und/oder Schwarzlichtfarben drauf. Und nie selbst eins für mich behalten. Das möchte ich ändern.

Klar, weil das Moosbild ist ja fertig. Weil mich mein Chef da angesteckt hat. Moos konservieren und in so nem schwülstigen barocken Goldrahmen kleben. Und schon ist wieder ein kleines Projekt dazu gekommen. Ich kann und möchte da aber auch nix gegen tun. Mir hat das viel zu sehr gefehlt, ich hab da viel zu viel aufgegeben von all den Sachen die mir Spaß machen.

Und deshalb sitze ich dann auch mal gern bis in die Nacht an der Nähmaschine. Es wäre ein Klacks, mir das zu kaufen, ein paar Klicks und nach drei Tagen geliefert. Aber irgendwie war da diese Idee von einem Seilsack, am besten so, dass ich meinen Kram da auch noch unterbekomme. Und so fängt dann wie immer ein kleiner Trip im Kopf statt: Material? Zeltplane, diese alten, weichen Stoffe. Oder doch ne Tarnplane, so ne Zeltbahn? Zu militärisch, keines der Tarnmuster ist zu ironisch, vor zwanzig Jahren hätte das vllt noch gepasst, als Camo so überall war. Also doch altes Zelt, verdammt hatte ich mal, dann bei einem der Umzüge ausgesondert, so schönes Grün und Orange. Also dann mal gesucht, ja hey - Pouch hat damals all das hergestellt, und klar dass es jetzt unbedingt das tolle Blau sein muss, wie die Faltboote haben.

Und so kam dann eins zum anderen, ein verregneter Samstagabend, ich und meine Nähmaschine und Podcasts auf den Ohren. Und irgendwann war dann alles so wie es sein sollte. Weil es Reststücke waren ein bisschen wilder Schnitt, aber dafür nix übrig geblieben.

Ich mag die Maschine mittlerweile sehr. Es ist meine vierte und irgendwie genau das, was ich immer gesucht hatte. Die alte DDR - Maschine war zu zickig, das alte Möbelstück mit Tretantrieb zu ausgenudelt und speziell, die billige Haushaltsmaschine zu unpräzise und fragil. Die Toyota ist zwar keine Industrienähmaschine aber orgelt problemlos zehn Lagen Jeans, Cordura oder Leder weg und nimmt eben auch nicht soviel Platz ein. Wenn ich die schon früher gehabt hätte, boah. Was hab ich mich mit der Schlaghose aus Wasserbüffel damals abgerackert. Und so war es ein prima Abend, weil nichts hakte oder klemmte. Mal wieder - einfach nur nähen. Und das Beste - dann alles stehen und liegen lassen und glücklich ins Bett fallen.

Am nächsten Morgen das Teil packen und mit einer Tasse Tee in der Hand grinsend freuen. Platz für 60m Seil, Schuhe, Gurt und ein Dutzend Exen. Upcycling mit altem Zeltgewebe, Autoanschnallgurt und ein bisschen Klettband. Achja - und nem Pouch-Logo-Aufnäher, der musste sein.

Das Teil wurde mittlerweile ordentlich getestet und für gut befunden - auch wenn mir unterstellt wurde, das doch garantiert irgendwo auf Etsy gekauft zu haben. Mit der Verdächtigung kann ich gerne leben.

Und wenn es dann so ist, dass für jedes gebastelte oder sonst wie fertig gewordene Projektchen ein neues hinzukommt - so what? Solange es mir Spaß und mich glücklich macht... 

2023/03/13

meistens

Meistens hat das nix mit dem ringsrum zu tun. So als in Zivilisation eingebundener Mensch sind ja die Momente, einem Säbelzahntiger gegenüber zu stehen denkbar selten geworden. So gut wie jede Angst, jede Scham, jede Wut kommt aus irgendeiner alten Erfahrung. Und weil das so "schön" ist, ist die dann gerne auch mehrfach gemacht worden und das alte Spiel von Angst und Reaktion also auch mehrfach "gelernt", verinnerlicht.

Ist gerade so wie bei den billigen Kassetten früher - die musste man auch mehrfach löschen und/oder überspielen bis die alte Aufnahme drunter nicht mehr durchkam.

2023/03/12

weglächeln

Knapp ein Jahr hilft mir nun jemand, durch mich selbst zu navigieren. Und es gibt gute Gründe damit noch ein ganzes Stück Weg weiterzugehen. Und es ist immer wieder schockierend was ich dabei so ausgrabe. 

Irgendwann vor ein paar Wochen fiel es mir wieder einmal ein. Ich hab irgendwie gemerkt dass ich mich "instantan schäme". Darüber dass ich das so weit verdrängt habe über all die Jahrzehnte. Dass ich nicht einmal weiß was eigentlich die Vorgeschichte gewesen war. Und dabei ist das gar nicht das schlimme daran. 

Es gibt ein schwarz-weiß-Foto von mir. Ich bin da drauf zu sehen. Vielleicht vier Jahre alt, ich weiß es nicht, ich habe weder das Foto noch je mehr darüber erfahren als die "lustige Anekdote" dazu, die sich in dieser Familie und anderen gegenüber dazu immer erzählt wurde. Auf dem Foto sieht man mich heulen, mit Schokoglasur-verschmiertem Mund, in einer der kleinen Hände ein Schweineohr haltend. Es fehlt bereits ein Kindermund-großer Biss, meine verheulten Blicke gehen nach oben, irgendwohin außerhalb des Bildes, dahin wo die andere Hand sich streckt. Der lustige Teil davon ist, dass ich nach dem Schweineohr meiner Mutter oder meines Vater zu greifen deute, heulend vor Enttäuschung, dass dieses nicht für mich zu haben sei. Soweit, meine Erinnerung darüber.

Ehrlich gesagt würde ich das Foto gar nicht haben wollen. Es ist eines von so vielen Puzzlestücken, die mir lange nicht weh haben tun können, weil ich das Narrativ der lustigen Erzählung so verinnerlicht habe. Kann sein, dass ich neulich morgens auf dem Markt am Bäckerwagen welche habe liegen sehen und ein paar Augenblicke dran hängen geblieben bin. 

Was mir so unfassbar schwer fällt, ist dahinter zu schauen. Hinter diese Fassade des Weglächelns durch die der Witz seine Schenkelklopferhaftigkeit bekommen hat. Was hat das in mir ausgelöst damals, warum habe ich so gefühlt, dass mir die Tränen runterkullern, ich heulen musste? Was hat mir da so wehgetan, was habe ich da wieder als Schmerz, Entzug, Verlust gefühlt? Auch wenn ich darauf wohl nie eine Antwort finden werde, viel erschreckender ist diese innerfamiliäre Negierung dieses herausgeschrienen Bedürfnisses. Es gab nie einen Moment wo diese - meine - Seite der Anekdote je eine Rolle gespielt hätte. Es war eine tolle Geschichte die zu dem Foto allen unter die Nase gerieben werden konnte - "wie lustig, so gierig der kleine, hat nicht mal das eine fertig und heult wegen dem was gar nicht für ihn ist". Es ist so unfassbar erschreckend, dass ich mir Jahre später den "Schweineohr-Effekt" vorwerfen lassen musste - jedes verdammte Mal wenn ich gegenüber meinen Eltern ein Bedürfnis habe deutlich machen wollen. Heftig wieviel Erniedrigung da drin transportiert werden konnte. Diese Abwertung, Reduzierung auf eine frühkindliche Momentaufnahme um sich keinesfalls ernsthaft mit mir beschäftigen zu müssen. Was mir das alles kaputt gemacht hat, wieviel Scherben da in mir rumliegen...

Das mag lächerlich vorkommen, kleinlich, unwesentlich, "sowas gab's halt überall" - allein es nimmt nichts davon was es mit mir gemacht hat.

Und das ganze war keine Ausnahme. Vielleicht weil es dazu ein Foto gab, womit man das so verletzend jederzeit wieder rausholen konnte. So sehr dass ich irgendwann angefangen habe diese Erinnerung quasi anzunehmen und trotzdem ganz weit unten drunter zu vergraben. Unter dem beschissenen Berg auf dem ich sitze und den ich gerade erneut durchlebe. Es ist anstrengend, genau dahin zurückzukehren, in diese Momente auch wenn ich endlich jemanden habe, der einem zeigt, dass das was ich damals nicht als Obhut, als Schutz bekam, mir heute selbst geben kann.

Auch wenn ich heute arg zu kämpfen hatte beim einkaufen. Es war nicht viel los, ich habe etwas vor mich hingeträumt. Ein bisschen gestöbert was es so an pflanzlichen Alternativen bei den Joghurts und Sahne-Zeugs so gibt - und dann stand da Buttermilch. Ich mochte die noch nie. Also, ich hätte mir die nie gekauft. Ich hätte die auch nie probiert, mich hat der Geruch schon immer unangenehm berührt, auch damals. Ich war vielleicht fünf, maximal sechs Jahre alt. Und aus irgendeinem Grund sollte ich ein Glas Buttermilch trinken. Die ich nicht mochte. Wahrscheinlich war das eine der vermeintlichen Möglichkeiten, aus dem schmächtigen Kind "was zu machen". Das war wohl mal ein Thema damals, dass ich lange sehr klein und kaum kräftig entwickelt war. Darum soll es jetzt nicht gehen - über alles damit verbundene hab ich schon zu oft mit Wut an früher zurückgedacht. Was macht man also mit einem Kind, das sein Glas Buttermilch nicht trinken mag?

Man sperrt es auf den Balkon mit dem Glas. Mit der klaren Ansage, dass es erst wieder in die Wohnung zurück kehren dürfe, wenn das Glas ausgetrunken wurde. Da es meinen Eltern irgendwann zu langweilig wurde, mich durch das Glas der Balkontür aus der Küche heraus zu beobachten, habe ich irgendwann den Inhalt in einen der Blumenkästen entleert. Was natürlich durchschaut wurde und mir der Weg zurück verwehrt wurde - mit einem erneut gefüllten Glas und der gleichen Auflage. Und zur vollständigen Erniedrigung wurde da auch noch der Krug mit der restlichen Buttermilch auf den Tisch gestellt - wenn es mir dann schmecken würde, könne ich gerne noch mehr trinken. An Zynismus ist das ganze nicht zu überbieten gewesen. Es war am Ende dann schon dunkel als ich den Inhalt irgendwie Schuck für Schluck runterbekommen hatte. In dem Krug schwammen mittlerweile ein, zwei Fliegen wie als Beweis für die Abscheulichkeit dieses unangenehm riechenden Zeugs - ich fühlte mich mindestens genauso elend wie die beiden. 

All das ist so lange her - aber erst jetzt kann ich ernsthaft darüber so fühlen und dem auch Raum geben wie es damals einfach nicht sein durfte. Und das schlaucht einfach mehr als 300km mit dem Rad. Es ist wahnsinnig kräfteraubend, tut weh, setzt Wut frei - mich so zu fühlen wie damals. Um dann mit viel Atmen mir selbst das Mitgefühl und die Anteilnahme zu geben, die ich damals nicht bekam.

Über all dem schwebte dann über viele Jahre zudem noch die verhöhnende Aussage "Du hast ja eine sooo schwere Kindheit" an mich gerichtet, als durch übertriebene Überspitzung formulierte vorweggenommene Negierung genau dieses Umstandes. Damit auch allen klar ist dass den so nicht sei und ich mich nicht so anstellen solle. Um jegliche Zweifel darüber vollständig wegzulächeln. 

Wir sprechen nicht über die Einordnung in eine fachliche Kategorie, nicht von Trauma oder vergleichbares, höchstens mal am Rande oder sehr viel später im Nachgang. Wenn es dann auch schon gar keine Rolle mehr spielt, für mich sowieso nicht. Das finde ich sehr schön, weil es dadurch alles was hochkommt, egal wie krass oder unwesentlich, gleichermaßen ernsthaft annimmt und Raum gibt. Das hat mich anfangs irritiert, weil das genau der gegenteilige Ansatz ist, wie er oft in der verknappten Auseinandersetzung in sozialen Medien stattfindet. Aber buzzwords klicken halt gut.

2023/02/23

SISU Trailer (2023)

Fast zwei Jahre ist es her, dass ich die Kolonne mit dem Nazi-Panzer während der Ruska2021 getroffen habe - nun ist er endlich da, der Trailer zu SISU - und bald auch der Film. Ich werd ihn definitiv gucken. 

Schon weil die Spitzhacke im Boden des Flugzeugs an Guitar Wolfs Attacke auf das Raumschiff in Wild Zero erinnert. Ja, ich mag C-movies. 

2023/02/05

📖


Das fühlt sich schön an, vertraut ein bisschen. Irgendwann muss mir das wohl abhanden gekommen sein. Dieses "in den Seiten verloren gehen" , dieses "die Zeit vergessen". Und so wachsen sie, die Stapel, mit den gelesenen und den ungelesenen Büchern. Ich freue mich auf den Teil des Jahres, wo Grashalme zwischen die Seiten rutschen, Ameisen über das Papier krabbeln. Im Moment ist da eher die heimelige Vorfreude während der Kilometer, dass da am Ende noch ein paar Kapitel warten, gelesen zu werden.

2023/01/23

🎞️

Hmpf. So geht es der Produktion wohl auch ein bisschen. 90 Millionen, große Namen, eine opulente Story um die Zeit des Übergangs zum Tonfilm herum ... und dann ein langer Film mit Längen, mit tollen Bildern und Farben, sicheren Witzen und trauriger Selbstreferenz. Was bleibt davon? Erstaunlich wenig. Ein Film den man sicher anschauen kann, der aber nicht sonderlich hängenbleiben wird. Schade irgendwie.


2023/01/15

Hand.Werk

Was mich immer wieder überrascht, ist, wenn Menschen denken das dieses eine Werkzeug, dieser eine Kurs oder dieses eine Mal etwas auf Youtube, Insta oder TikTok angeguckt zu haben automatisch dafür sorgt, etwas zu können. Selbst mit der allerbesten, pädagogisch saubersten Lehre wird man in der Regel in die Lage versetzt, etwas leidlich gut nachzumachen. Ungefähr so wie ein Rezept lesen und danach kochen. Das ist niemals so gut wie das Ergebnis des zum hundertsten Mal zubereiteten Lieblingsgerichts. Man segelt nicht automatisch gut wenn man einen Segelschein gemacht hat, kann im allgemeinen nicht klettern wenn man nen Kletterkurs gemacht hat. Oder wenn jemand etwas baut, bastelt - handwerklich erschafft. Wir sehen immer nur das Ergebnis, nur einen klitzekleinen Ausschnitt aus dem Leben der Person der wir da zuschauen. Wir wissen nichts davon wie lange es gedauert bis jeder Handgriff so sitzt, jede Bewegung so abläuft wie wir es sehen können.

Was uns dann immer noch verborgen bleibt - wie lange es gedauert hat bis die Person das, was sie da tut, fühlen oder spüren konnte. Wie sich ein Gewindeschneider in zähem Edelstahl kurz vor dem Abreißen anfühlt, wie der Unterschied zwischen einem Schliff mit 200er Korn und leichter Kraft gegenüber einem 240er Korn mit mehr Kraft nur allein unterschiedlich warm auf der Rückseite des Schleifpapiers wahrzunehmen ist. Es gibt tausende solcher Beispiele - das richtige Schmatzen einer Farbrolle auf der Wand, der saubere Zuschnitt eines Schnittmusters, usw.. In Videos, deren Länge unsere konditionierte werbegerechte Aufmerksamkeitsspanne nur nicht überfordern darf, sehen wir die zusammengeschnittenen Momente mit dem just fertig gestellten Ergebnis. Wie viele erliegen dabei dem Irrglauben mit ein bisschen gucken und einer Erläuterung schaffen sie das ebenfalls.

In der Regel sehen wir Menschen zu, die das, was sie da tun, mit einer Leidenschaft und Hingabe etliche Jahre perfektioniert haben. Oder aus einem Arbeitsdruck und einer steten Wiederholung eben auf das effizienteste optimiert haben. In allem stecken etliche Stunden an Fehlschlägen, an Ausschuss, an Frust, an tausenden kleinen Schritten hin zu einer Qualität die wir in der Regel nie erreichen werden.

Ich mag selbst unheimlich vieles ausprobieren. Die nötige Neugierde hatte ich schon immer, den Zwang schnell "brauchbare Resultate" zu bringen habe ich in meiner Jugend über mich ergehen lassen müssen. Die Kehrseite davon beschäftigt mich noch heute und wird es wohl immer. Der Nebeneffekt davon - vieles doch recht gut zu können. Einiges sogar ein bisschen besser. Wenn ich zurückschaue, beherrsche ich die Dinge, die ich besonders oft wiederholt habe, wahrscheinlich am Besten. Es ist bei mir vielleicht nicht so sehr Talent sondern eher die Ausdauer und der Wille zur Verbesserung des Könnens. Wenn ich mir die Streubüchsen mit Talent, Neugierde, Ausdauer so anschaue werden die wahrscheinlich in einer Normalverteilung über der Menschheit ausgekippt. Wir alle können die meisten Dinge halt so einigermaßen mittel. Ausdauer ist schon etwas, das mir liegt und vielleicht gerade deshalb kann ich ein paar Dinge dadurch ein klitzekleines Stückchen zum besseren verschieben. Niemand weiß, wie viele Stunden dafür notwendig waren, um dahin zu kommen. Die meisten Menschen haben dazu aber auch einfach keinen Bezug, haben keine Vorstellung von dem Tun der Mitmenschen.

Wenn ich auf Anlagen unterwegs bin, ertappe ich mich dabei, einfach mal anzuhalten und den Leuten zuzugucken. Ich mag das. Der Isolierer an seiner Industrienähmaschine der die Matten für eine Maschine näht, der Fliesenleger wie er Quadratmeter für Quadratmeter Industriefußboden mit Spaltplatten macht, der Schweißer der eine Naht in 40mm Wandstärke mit ruhiger Hand über Kopf Raupe für Raupe legt. Die könnten mir das alle zeigen und mir erklären - ich hätte trotzdem nie den Anspruch das je so gut zu können. Und genau deswegen arbeiten all diese unterschiedlichen Menschen mit ihren Stärken ja auch zusammen. Und je weiter der Begriff des Handwerks gedacht wird gilt das irgendwie für alles um uns und zwischen uns.

Wenn mich das eines gelehrt hat, ist es, das eigene nicht mit dem Ergebnis eines anderen Menschen zu vergleichen. Vielleicht noch, um den Respekt davor einordnen und ermessen zu können, aber bitte nicht, um seine eigene Leistung ins Verhältnis zu setzen. Es birgt so weniger Gefahr, enttäuscht zu sein. Auf das eigene Können von vor ein paar Jahren zu schauen ist einfach die gesündere Variante. Und wird in den seltensten Fällen ein Grund für ein Hadern sein. Ohne die Bereitschaft zur Ausdauer wird ein durchschnittlich talentierter Mensch halt einfach nicht dahinkommen. Ich hab mir das irgendwann so hingelegt, nur so hohe Ansprüche an mich selbst zu setzen, wie ich auch bereit bin, die nötige Ausdauer mitzubringen.

Und andere Menschen haben halt andere Ansprüche an sich an gleicher Stelle und gleiche Ansprüche an sich an anderer Stelle.

2023/01/02

draußen

Für die Sterne über dem Schlafsack. Für die Sonne am Morgen.

Für das drinnen.