2023/03/25

we're fucked

IPCC-Bericht. Und nun? Amtlicher geht's irgendwie nicht. Wir Menschen sind der dämlichste Parasit auf Erden. Als Gesamtheit ist es uns egal wie es weitergeht. Als Spezies sind wir untauglich zu überleben.

Es ist spielt keine Rolle, ob ich als einzelnes Individuum das anders sehe und es gern anders hätte. Mir geht das persönlich ziemlich gegen den Strich. Ich habe mich Ende der 90er dafür entschieden, dieses Bedürfnis, etwas für eine bessere Erde zu tun, zum Beruf werden zu lassen. Die Mischung aus diesem mir wichtigen Wert und dem Spaß an ingenieuriger Arbeit. Was damals vielleicht nur schwarzer Humor oder ein Spiel mit laut gedachtem Fatalismus war, ist mittlerweile ein nüchternes Bild der Realität geworden. Und das nimmt ganz schön viel Motivation weg.

Ich möchte das, was da in den nächsten 30...40 Jahren kommt, eigentlich nicht ertragen müssen. Und irgendwie hatte ich gehofft, dass es mehr Menschen so gehen würde. Und eigentlich wollte ich nicht an den Punkt kommen, darüber nachdenken zu müssen, was es zu erlernen gilt, um in einer +2K-Welt zu "Leben". Weil - bis wohin ist es noch "Leben", ab wann ist es nur noch ein "Aushalten", ein "Überleben"?

2023/03/19

Hobby?

Hobby. So richtig passend ist das Wort irgendwie selten. Was ist das eigentlich, wie viele und wie intensiv? Ich kann irgendwie nie wirklich darauf antworten wenn mich jemand nach meinem Hobby fragt. Hobbies? Da ist irgendwie so unheimlich viel was mir Spaß macht, womit ich Zeit verbringen mag.

Ist das zuviel? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass sich über meine drölfzigtausend "Projekte" lustig gemacht worden ist. Ich hab da auch drüber gelacht, aber wenn ich ehrlich bin hat mir das schon ein Stück wehgetan. Ich bin halt neugierig und ich mag Zeug ausprobieren. Dann versuch ich das, so gut wie mir möglich ist, zu verstehen, vorzubereiten und mich dann damit zu beschäftigen. Und es gibt nix schöneres, dabei dann Spaß zu finden.

Die meisten Sachen haben so etwas meditatives, ich schalte dabei ein bisschen ab und vergesse alles ringsum. Ich war neulich Freunde besuchen und während wir beisammen saßen haben wir mit Acrylstiften Dinge bemalt. Das war unheimlich schön und ich hatte ganz vergessen wie sehr gern ich früher gemalt habe. Ich habe ein paar Jahre lang öfter Materialbilder und - collagen auf vieleckigen Formen gemacht, meist irgendwie noch was mit Nachleucht- und/oder Schwarzlichtfarben drauf. Und nie selbst eins für mich behalten. Das möchte ich ändern.

Klar, weil das Moosbild ist ja fertig. Weil mich mein Chef da angesteckt hat. Moos konservieren und in so nem schwülstigen barocken Goldrahmen kleben. Und schon ist wieder ein kleines Projekt dazu gekommen. Ich kann und möchte da aber auch nix gegen tun. Mir hat das viel zu sehr gefehlt, ich hab da viel zu viel aufgegeben von all den Sachen die mir Spaß machen.

Und deshalb sitze ich dann auch mal gern bis in die Nacht an der Nähmaschine. Es wäre ein Klacks, mir das zu kaufen, ein paar Klicks und nach drei Tagen geliefert. Aber irgendwie war da diese Idee von einem Seilsack, am besten so, dass ich meinen Kram da auch noch unterbekomme. Und so fängt dann wie immer ein kleiner Trip im Kopf statt: Material? Zeltplane, diese alten, weichen Stoffe. Oder doch ne Tarnplane, so ne Zeltbahn? Zu militärisch, keines der Tarnmuster ist zu ironisch, vor zwanzig Jahren hätte das vllt noch gepasst, als Camo so überall war. Also doch altes Zelt, verdammt hatte ich mal, dann bei einem der Umzüge ausgesondert, so schönes Grün und Orange. Also dann mal gesucht, ja hey - Pouch hat damals all das hergestellt, und klar dass es jetzt unbedingt das tolle Blau sein muss, wie die Faltboote haben.

Und so kam dann eins zum anderen, ein verregneter Samstagabend, ich und meine Nähmaschine und Podcasts auf den Ohren. Und irgendwann war dann alles so wie es sein sollte. Weil es Reststücke waren ein bisschen wilder Schnitt, aber dafür nix übrig geblieben.

Ich mag die Maschine mittlerweile sehr. Es ist meine vierte und irgendwie genau das, was ich immer gesucht hatte. Die alte DDR - Maschine war zu zickig, das alte Möbelstück mit Tretantrieb zu ausgenudelt und speziell, die billige Haushaltsmaschine zu unpräzise und fragil. Die Toyota ist zwar keine Industrienähmaschine aber orgelt problemlos zehn Lagen Jeans, Cordura oder Leder weg und nimmt eben auch nicht soviel Platz ein. Wenn ich die schon früher gehabt hätte, boah. Was hab ich mich mit der Schlaghose aus Wasserbüffel damals abgerackert. Und so war es ein prima Abend, weil nichts hakte oder klemmte. Mal wieder - einfach nur nähen. Und das Beste - dann alles stehen und liegen lassen und glücklich ins Bett fallen.

Am nächsten Morgen das Teil packen und mit einer Tasse Tee in der Hand grinsend freuen. Platz für 60m Seil, Schuhe, Gurt und ein Dutzend Exen. Upcycling mit altem Zeltgewebe, Autoanschnallgurt und ein bisschen Klettband. Achja - und nem Pouch-Logo-Aufnäher, der musste sein.

Das Teil wurde mittlerweile ordentlich getestet und für gut befunden - auch wenn mir unterstellt wurde, das doch garantiert irgendwo auf Etsy gekauft zu haben. Mit der Verdächtigung kann ich gerne leben.

Und wenn es dann so ist, dass für jedes gebastelte oder sonst wie fertig gewordene Projektchen ein neues hinzukommt - so what? Solange es mir Spaß und mich glücklich macht... 

2023/03/13

meistens

Meistens hat das nix mit dem ringsrum zu tun. So als in Zivilisation eingebundener Mensch sind ja die Momente, einem Säbelzahntiger gegenüber zu stehen denkbar selten geworden. So gut wie jede Angst, jede Scham, jede Wut kommt aus irgendeiner alten Erfahrung. Und weil das so "schön" ist, ist die dann gerne auch mehrfach gemacht worden und das alte Spiel von Angst und Reaktion also auch mehrfach "gelernt", verinnerlicht.

Ist gerade so wie bei den billigen Kassetten früher - die musste man auch mehrfach löschen und/oder überspielen bis die alte Aufnahme drunter nicht mehr durchkam.

2023/03/12

weglächeln

Knapp ein Jahr hilft mir nun jemand, durch mich selbst zu navigieren. Und es gibt gute Gründe damit noch ein ganzes Stück Weg weiterzugehen. Und es ist immer wieder schockierend was ich dabei so ausgrabe. 

Irgendwann vor ein paar Wochen fiel es mir wieder einmal ein. Ich hab irgendwie gemerkt dass ich mich "instantan schäme". Darüber dass ich das so weit verdrängt habe über all die Jahrzehnte. Dass ich nicht einmal weiß was eigentlich die Vorgeschichte gewesen war. Und dabei ist das gar nicht das schlimme daran. 

Es gibt ein schwarz-weiß-Foto von mir. Ich bin da drauf zu sehen. Vielleicht vier Jahre alt, ich weiß es nicht, ich habe weder das Foto noch je mehr darüber erfahren als die "lustige Anekdote" dazu, die sich in dieser Familie und anderen gegenüber dazu immer erzählt wurde. Auf dem Foto sieht man mich heulen, mit Schokoglasur-verschmiertem Mund, in einer der kleinen Hände ein Schweineohr haltend. Es fehlt bereits ein Kindermund-großer Biss, meine verheulten Blicke gehen nach oben, irgendwohin außerhalb des Bildes, dahin wo die andere Hand sich streckt. Der lustige Teil davon ist, dass ich nach dem Schweineohr meiner Mutter oder meines Vater zu greifen deute, heulend vor Enttäuschung, dass dieses nicht für mich zu haben sei. Soweit, meine Erinnerung darüber.

Ehrlich gesagt würde ich das Foto gar nicht haben wollen. Es ist eines von so vielen Puzzlestücken, die mir lange nicht weh haben tun können, weil ich das Narrativ der lustigen Erzählung so verinnerlicht habe. Kann sein, dass ich neulich morgens auf dem Markt am Bäckerwagen welche habe liegen sehen und ein paar Augenblicke dran hängen geblieben bin. 

Was mir so unfassbar schwer fällt, ist dahinter zu schauen. Hinter diese Fassade des Weglächelns durch die der Witz seine Schenkelklopferhaftigkeit bekommen hat. Was hat das in mir ausgelöst damals, warum habe ich so gefühlt, dass mir die Tränen runterkullern, ich heulen musste? Was hat mir da so wehgetan, was habe ich da wieder als Schmerz, Entzug, Verlust gefühlt? Auch wenn ich darauf wohl nie eine Antwort finden werde, viel erschreckender ist diese innerfamiliäre Negierung dieses herausgeschrienen Bedürfnisses. Es gab nie einen Moment wo diese - meine - Seite der Anekdote je eine Rolle gespielt hätte. Es war eine tolle Geschichte die zu dem Foto allen unter die Nase gerieben werden konnte - "wie lustig, so gierig der kleine, hat nicht mal das eine fertig und heult wegen dem was gar nicht für ihn ist". Es ist so unfassbar erschreckend, dass ich mir Jahre später den "Schweineohr-Effekt" vorwerfen lassen musste - jedes verdammte Mal wenn ich gegenüber meinen Eltern ein Bedürfnis habe deutlich machen wollen. Heftig wieviel Erniedrigung da drin transportiert werden konnte. Diese Abwertung, Reduzierung auf eine frühkindliche Momentaufnahme um sich keinesfalls ernsthaft mit mir beschäftigen zu müssen. Was mir das alles kaputt gemacht hat, wieviel Scherben da in mir rumliegen...

Das mag lächerlich vorkommen, kleinlich, unwesentlich, "sowas gab's halt überall" - allein es nimmt nichts davon was es mit mir gemacht hat.

Und das ganze war keine Ausnahme. Vielleicht weil es dazu ein Foto gab, womit man das so verletzend jederzeit wieder rausholen konnte. So sehr dass ich irgendwann angefangen habe diese Erinnerung quasi anzunehmen und trotzdem ganz weit unten drunter zu vergraben. Unter dem beschissenen Berg auf dem ich sitze und den ich gerade erneut durchlebe. Es ist anstrengend, genau dahin zurückzukehren, in diese Momente auch wenn ich endlich jemanden habe, der einem zeigt, dass das was ich damals nicht als Obhut, als Schutz bekam, mir heute selbst geben kann.

Auch wenn ich heute arg zu kämpfen hatte beim einkaufen. Es war nicht viel los, ich habe etwas vor mich hingeträumt. Ein bisschen gestöbert was es so an pflanzlichen Alternativen bei den Joghurts und Sahne-Zeugs so gibt - und dann stand da Buttermilch. Ich mochte die noch nie. Also, ich hätte mir die nie gekauft. Ich hätte die auch nie probiert, mich hat der Geruch schon immer unangenehm berührt, auch damals. Ich war vielleicht fünf, maximal sechs Jahre alt. Und aus irgendeinem Grund sollte ich ein Glas Buttermilch trinken. Die ich nicht mochte. Wahrscheinlich war das eine der vermeintlichen Möglichkeiten, aus dem schmächtigen Kind "was zu machen". Das war wohl mal ein Thema damals, dass ich lange sehr klein und kaum kräftig entwickelt war. Darum soll es jetzt nicht gehen - über alles damit verbundene hab ich schon zu oft mit Wut an früher zurückgedacht. Was macht man also mit einem Kind, das sein Glas Buttermilch nicht trinken mag?

Man sperrt es auf den Balkon mit dem Glas. Mit der klaren Ansage, dass es erst wieder in die Wohnung zurück kehren dürfe, wenn das Glas ausgetrunken wurde. Da es meinen Eltern irgendwann zu langweilig wurde, mich durch das Glas der Balkontür aus der Küche heraus zu beobachten, habe ich irgendwann den Inhalt in einen der Blumenkästen entleert. Was natürlich durchschaut wurde und mir der Weg zurück verwehrt wurde - mit einem erneut gefüllten Glas und der gleichen Auflage. Und zur vollständigen Erniedrigung wurde da auch noch der Krug mit der restlichen Buttermilch auf den Tisch gestellt - wenn es mir dann schmecken würde, könne ich gerne noch mehr trinken. An Zynismus ist das ganze nicht zu überbieten gewesen. Es war am Ende dann schon dunkel als ich den Inhalt irgendwie Schuck für Schluck runterbekommen hatte. In dem Krug schwammen mittlerweile ein, zwei Fliegen wie als Beweis für die Abscheulichkeit dieses unangenehm riechenden Zeugs - ich fühlte mich mindestens genauso elend wie die beiden. 

All das ist so lange her - aber erst jetzt kann ich ernsthaft darüber so fühlen und dem auch Raum geben wie es damals einfach nicht sein durfte. Und das schlaucht einfach mehr als 300km mit dem Rad. Es ist wahnsinnig kräfteraubend, tut weh, setzt Wut frei - mich so zu fühlen wie damals. Um dann mit viel Atmen mir selbst das Mitgefühl und die Anteilnahme zu geben, die ich damals nicht bekam.

Über all dem schwebte dann über viele Jahre zudem noch die verhöhnende Aussage "Du hast ja eine sooo schwere Kindheit" an mich gerichtet, als durch übertriebene Überspitzung formulierte vorweggenommene Negierung genau dieses Umstandes. Damit auch allen klar ist dass den so nicht sei und ich mich nicht so anstellen solle. Um jegliche Zweifel darüber vollständig wegzulächeln. 

Wir sprechen nicht über die Einordnung in eine fachliche Kategorie, nicht von Trauma oder vergleichbares, höchstens mal am Rande oder sehr viel später im Nachgang. Wenn es dann auch schon gar keine Rolle mehr spielt, für mich sowieso nicht. Das finde ich sehr schön, weil es dadurch alles was hochkommt, egal wie krass oder unwesentlich, gleichermaßen ernsthaft annimmt und Raum gibt. Das hat mich anfangs irritiert, weil das genau der gegenteilige Ansatz ist, wie er oft in der verknappten Auseinandersetzung in sozialen Medien stattfindet. Aber buzzwords klicken halt gut.