Er hatte nicht viel in der Birne. Hauptschule. Irgendwo auf dem Land in Mecklenburg, da wo im Sommer die Touristen die Seen und die Luft genießen. Da war sein zu hause. Dieser Siebziger-Jahre-Plattenbau mit ca. 20 Wohneinheiten. Der sozialistische Wohnkomplex. Und dann waren da die Eltern und die Schwester. Die Mutter irgendwo auf dem Amt als Aktendulliauskennerin und der Vater im Schichtdienst im Kalksandsteinwerk. Die Schwester, ein zierliches Ding war so ziemlich schlauer wie das in Mecklenburg so auffallend üblich ist. Der Unterschied war, dass sie noch nicht mal volljährig sich schon an einen dicklichen Mittdreißiger - Fahrschullehrer, was ja wohl derer orten sowas wie eine Adelung, aber eigentlich das Zeugnis für "kann nix, macht trotzdem ne dicke Welle" gilt - sich jedenfalls an diesen versprochen, ver- ... ach man hat das nie so richtig verstanden aber das musste und wollte hier wohl auch niemand. Er war keine Leuchte und auch der Rest wars nicht. Der Junge aber der war ein typischer Rotzbengel. Moped ohne Fleppen, Rauchen wie ein Schlot, pickeliges Rasurkinn und Springerstiefel. Die unangenehme Sorte. Die grüne oder blaue oder schwarze Bomberjacke. Und die nicht vorhandenen Haare. Die Oma - eine über 80jährige Deutsch-Jugoslawin, beide Männer im Krieg gelassen, selbst danach als Landlöhnerin geknechtet worden - die hatte so ihr Unbehagen damit. Aber es war ja ein Enkel. Der Krieg ist ja lange her und heute ist heute und heute ist Sat1 und RTL und überhaupt geht’s uns ja doch allen so sehr viel besser. Tja und dann bist Du da wieder zu Besuch. Irgendein familiärer Anlass deiner damaligen zweiten Familie. Ihr wart mal wieder übers Wochenende da, alle freuen sich, es wird gegrillt, gegessen, getrunken, geglotzt, sich ausgetauscht, es gibt die obligatorische Rund-um-die-Uhr-Fressalien-Vollversorgung und rings rum ein bisschen Abwechslung zum Großstadtdschungel. Und abends gehen dann alle rüber in den Garten der Tante und die ganze Bande wird dort sein und wir nehmen noch etwas mit, man soll uns ja nicht nachsagen dass wir nichts mitbringen würden und am Ende fällt das noch auf uns zurück und die Leute im Dorf, ihr wisst ja.
Du sagst irgendwann nichts mehr. Anfangs gehen diese ganzen Rituale so fürchterlich auf den Sack, du musst da erst reinwachsen, sagst du dir, sagt sie, sagen die andern. das willst du aber gar nicht, rebellierst du innerlich und kannst doch gar nicht so richtig sagen wogegen oder warum. Bis du dann wieder an dem Punkt bist. Dieser Punkt den du immer vor Augen hattest wenn du zu Hause diese Platte von Konstantin Wecker gehört hast die bei deinen Eltern im Regal stand. Gestern ham's 'n Willi erschlag'n. Ja da bist du auf einmal dort wo du dich wohlfühlen solltest. Ihr seid da, ihr hattet nen schönen Tag, ward baden, was lesen, habt einfach Zeug gemacht, geholfen Euch aufgeregt über diese Dörflichkeit, dieses ach-die-haben-doch-alle-keine-Ahnung-hier. Da hört die eh keiner zu wenn du anfängst die Dinge mal zu erklären. Die haben hier einfach noch weniger Zeit, als du selbst in deiner Welt. Gleich gibts Essen und die Wäsche muss auch noch raus und habt ihr schon.... . Nein zur Ruhe kommt ihr hier nur für Augenblicke. Und dann aber bis gleich, wir wollens uns doch alle am Feuer gemütlich machen, ja? Ja doch.
Tja. Irgendwann bist du einfach hierhergefahren. Und geblieben. Zwischen Grunge-CDs und Sonnenblumen. Das war schon ziemlich die andere Seite von dem wie du selbst anders warst. Wir waren ja immer unterwegs. Berlin, Berlin und nochmals Berlin. Dazwischen gabs irgendwelche Parties hier und da. Dunkle Keller oder alte Bunker, Plattenspieler rein und los. Was hast du da für nen Aufwand mit der Deko betrieben. Das war verdammt dunkelbunt, und manchmal auch ein bisschen aufregend. Besetzte Häuser, alternative Jugendzentren, immer damit rechnend dass irgendwelche Glatzen aufkreuzen und hier ihren Krieg austragen wollten. Eine Zeit in der du lerntest wie quer diese ganze bist-du-rechts-oder-links-Scheisse lief. Landauf, landab. Und ja. Da gab es diese harmlosen, passiven Teile, so ne Mischung aus Hippies und Kirchenjugend. Viele wohlbehütet, Mutti holt euch dann wieder ab und ruft an, wenn es zu sehr regnen sollte und ihr nicht zelten wollt. Wie sie. Tja. Und dann gabs da in dieser Sippe halt auch diesen Bengel. Auf der Straße hättest du ihn wahrscheinlich gemieden oder geboxt. Nicht dass du drauf aus warst, aber wenns sein musste. Und ein paar Mal musste es sein. Das Wegrennen und auch das Zuschlagen. Jedenfalls haben sie alle schon einen im Tee und du stocherst schweigend in der Glut rum. Mindestens ein Mensch neben dir sollte das realisieren. Diese Wut ob dieser Sprüche und Witze. Und irgendwann ist es zu viel. Du hältst diese Scheisse nicht mehr aus und greifst an. Die Oma, die es doch besser wissen müsste, die Mutter - Lehrerin - die in der Schule sowas melden müsste, alle ducken sich mit Ausflüchten weg. Die besoffenen Herren der Runde sehen das als Amüsement - jetzt haben sie jemanden an dem sie sich auslassen können - das du doch erst mal was schaffen sollst, Steuergelder fürs Studieren und der ganze Quark. Und dann wird so richtig unsachlich unter die Gürtellinie gegriffen. Und alles nur um auch ja keine Diskussion zuzulassen, dass dieser Bengel ein vollkommener Neonazi ist. Das der Typ unter der Woche wenn er auf seinem LKW sitzt sich die übelste Nazimucke reinzieht, sich diesen Scheiss mit Vaterland und Ehre ins sonst so leere Hirn zieht. Und genau das passt nämlich nicht in diese Idylle. Du bist der Störfaktor - nicht diese quere Weltanschauung. Und so spuckst du irgendwann ins Feuer und verziehst dich. Allein oder zu zweit ist die da schon längst egal. Weit weg wäre jetzt am besten. Weit weg von dieser ... Verwandtschaft?.
Am nächsten Mittag wird verklemmt Mittag gegessen, dann irgendwann nach endlosen quälenden Stunden die du zumeist mit irgendwelchem Schnickschnack zugebracht hast macht ihr euch endlich wieder auf den Weg. Sie bekommt von Oma die obligatorischen fünfzig Euro zugesteckt und dann fahrt ihr los. Nee, also alles toll war das nicht. Aber du hast die Scheisse von innen gesehen. Da wo die brauen Grütze am Leben bleibt. Und einfach dazu gehört wie das mal-eben-mit-ein-paar-Schnaps-zuviel-vom-Dorffest-nach-hause-fahren.
Sie waren und sie sind Schuld. An dem was sich da entwickeln konnte. Zwickau ist auch in Mecklenburg. Irgendwo in jedem Dorf. Und irgendwo in jeder Familie.
Es gibt eben einen großen Unterschied was so in den Bücherregalen der zweiten Familie stehen kann. Manchmal sind es nur Weltbild-Verlags-Kochbücher oder -Gartenbücher, weil man ja aller drei Monate ein Buch kaufen muss!!!, oder es sind eben gefährliche Werke. Bücher die den Kopf denken machen. Mir sind letztere lieber. Bücher und Familien.
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