2012/06/03

Das erschreckende Normale

Ausgerechnet als Dich die Woche ausgekotzt hatte und Du eigentlich nur den Kopf zumachen wolltetst. Und dann sitzt Du da. Hast dem Kollegen ja das mit dem Möbelzeug transportieren zugesagt. Weil indische Führerscheine in Deutschland nicht gelten. Also sitzt Du da auf irgend so einer 899-Euro-Couch in Polyester-Grobwebstoff bei Roller. Müde. Kopfschmerzen. Sind ja schliesslich schon 3 Stunden IKEA vorausgegangen. Da steckt ja noch irgendwie noch ein System dahinter. Oben gucken und Kleinscheiss, unten Wagen mit Zeug vollladen, am Ende das richtige Regal finden. Fundgrube, Kasse, Hot Dog, Tschüß.

Roller ist anders. Große Halle, wenig Licht für viel Fläche. Du tauchst ein in etwas was Dir von irgendwoher bekannt vorkommt. Da sind diese Schrankwände, diese Sessellandschaften und Couchtische von denen Du bis irgendwann nur aus irgendwelchen Vorabendprogrammen wusstest, dass es sie gibt. Bis Du dann damals in diese Familie eingetaucht bist und auf einmal selbst an einem Pressspanküchentisch mit Wachtuchtischdecke saßt. Pseudoeiche oder -buche. Alles gleich hohl klingend. Im Wohnzimmer Möbel deren Sinn sich nie erschlossen - "Sidebord" oder "Glas-Eckschrank". Da war nie irgendwas Esentielles drin. Alles - und nichts. Genauso wie die teils bunten Likörgläser mit Schliff. Und kleinen ovalen Aufklebern die partout dran bleiben mussten. Dann all diese angeblich nützlichen Haushaltshelferdinge. Badvorleger-garnituren. Gardinenstangen-Endelemente.

Du sitzt da und schaust den Leuten zu die da reinkommen. Es sind viele. Sie sind nicht unbedingt lange da. Nur wenige suchen ein Beratungsgespräch. Eine Kleinfamilie wählt ein Bett aus. Mit 100-Euro-Matratze. Die sie leider nicht in das x-tausend-Euro-Auto verladen bekommen werden. Aber man muss eben Prioritäten setzen. Vielleicht fahren sie ja viel Auto. Und schlafen so gut wie nie. Sind nur unterwegs und sitzen nie beisammen zuhause. Dann stören auch diese Kunstoffe nicht. Wahrscheinlich warst Du nur zu lange an der frischen Luft vorher. Jetzt sitzt Du da und es sticht irgendwo oben zwischen den Augen. Es ist als könntest Du sehen wie aus den Couchlandschaften neben Dir, den Regalböden der Küchenzeilen, den Nachttischschränkchen und Kleiderschrankmonstern Wolken aufsteigen. Sie sammeln sich unter dem grauen Deckenbeton und machen das Licht noch einen Tick trüber. Deswegen sind die Zitronenpressen, Küchenschwämme und Frischhaltedosen, die Kinderzimmerlampen und Gießkannen besonders grellbunt.

Nur das Geschirr - das Geschirr ist geblümt. Mal mehr, mal weniger. Aber immer so, als ob es darum ginge die weltweit bestehenden Farbvorräte an hässlichem Rosa, Pistazie oder Pfirsich aufzubrauchen. Es erscheint wie ein Plan, ein tieferer Sinn dahinter, dass diesen Muster in Verbindung mit Ahornnachbildung oder Buchenimitat eine volksberuhigende Wirkung zugeschrieben wird. Irgendwann hat sich das Wort "Schrank" davongestohlen. Es hat sich verlaufen und muss sich nun irgendwie durchschlagen. Es sieht nicht glücklich aus, aber was soll man machen - "Badspiegelschrank". Ca. 1,3kg weisses Plastik, eine Lampenfassung, eine Steckdose, 3x0,75mm Kupferdraht, 0,26m² Spiegelglas. Im Vergleich dazu hat der Waschbeckenunterschrank nebenan noch weniger zu lachen. Sein Selbstbewusstsein muss er aus aus groben Holzspänen, ein paar hundert Gramm Bindemitteln und ein wenig weissem Kunstoff schöpfen.

Es scheint als sei der ganzen Welt das Empfinden geraubt worden. Alles natürliche. Wenn der Mensch doch nur endlich etwas unnatürlicher werden würde. Etwas weniger biologisch. Etwas besser integrierbar. Er würde besser hier reinpassen. Und dann schaust Du dich um, guckst den Leuten zu. Und Dir wird klar dass sie ganz gut daran arbeiten. Hiereinzupassen. Das Individuelle im Rahmen des gerade noch möglichen.

Du musst raus. Der Schädel brummt. Kasse. Tür. Luft. Wind. Sonne. Weg.

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